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Das Wüten der ganzen Welt

Das Wüten der ganzen Welt

Titel: Das Wüten der ganzen Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maarten 't Hart
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gehen. Es ist ewig schade, daß ich nicht auf den Namen komme, aber ich komm noch wieder drauf. Heute hockt er noch immer bei den Schwarzen im Busch. Sie kommen mit Riesenschwären durch den Busch zu ihm gekrochen, und dann schmiert er ein bißchen Haarlemer Öl drauf, und dann hüpfen sie zurück. Vor diesem Mann zieh ich meine Mütze ganz tief, ganz tief. Und ich habe einen Sohn, der reichlich genug Grips hat, um dasselbe zu tun, und es würde mir nun auf meine alten Tage sehr, sehr gut gefallen, dafür ein paar Gulden auf den Tisch zu legen.« »Muß ich dann auch in den Busch?« fragte ich. »Wenn du dich erst mal entschließt, Doktor zu werden - das mit dem Busch kannst du später immer noch sehen.«
    »Es ist da so warm«, sagte ich. »Es gibt bestimmt auch Eskimos, die nach einem guten Doktor lechzen. Nee, dafür finden wir dann schon was, wenn du dir erst mal einen Ruck gibst und sagst: Dieser mein Vater ist zwar immer reichlich direkt, aber nun hat er mich doch auf eine sehr gute Idee gebracht. Ich werde Doktor.« »Ich werde mal darüber nachdenken«, sagte ich. »Schweitzer«, rief mein Vater, »auf einmal weiß ich seinen Namen wieder, es ist Schweitzer. Seinen Vornamen hab ich noch nicht, aber der kommt auch noch, aber es ist Schweitzer, siehst du wohl, so 'n Mann - gewaltig. Wenn ich doch erst mal in zehn Jahren sagen könnte: Mein Sohn ist auch als Doktor in den Busch gegangen. Dann würden sie uns hier im Hoofd sicher nicht mehr so schief ansehen. Gut, davon hast du im Busch nichts, aber denk auch mal an deinen alten Vater und deine alte Mutter. «
    »Er heißt Albert, und er arbeitet in Lambarene.«
    »Sieh einer an«, sagte mein Vater, »was ich dir die ganze Zeit sage. Siehst du wohl, daß du einen goldenen Verstand hast? Ich zerbrech mir den Kopf, wie dieser Mann da in Amerika...«
    »In Afrika«, sagte ich.
    »O ja, in Afrika arbeitet er, und du spuckst das nur so aus. Ja, es wäre Sünd und Schande, wenn du kein Doktor würdest. Und ist dieser Mann nun ein Musikbolzen oder nicht?«
    »Ja«, sagte ich.
    »Genau wie du. Und was tut er? Fiedeln? Nein, er tritt in den Dienst der leidenden Menschheit.«
    Wieder war mein Vater gerührt. Er wischte sich die Tränen aus den Augenwinkeln und sagte: »Und du mußt mal so denken: Da im Busch kannst du noch so manch hübsches Liedchen runterspielen.«
    »Worauf?« fragte ich bissig.
    »Nun, äh, was soll ich sagen, auf... auf zum Beispiel, sagen wir mal, einem Akkordeon. Ja, natürlich, auf einer Ziehharmonika! Ich verstehe sowieso nicht, daß du nicht darauf spielst! Daran hast du doch viel mehr Spaß als an solchem Klimperkasten. Darauf kannst du dann auch noch einen Stühle-Tanz spielen.«
    Mein Vater stand auf, rückte einen Stuhl in die Mitte des Zimmers und tanzte drum herum, während er sich dabei mit Armbewegungen auf einem imaginären Akkordeon begleitete. Er sagte: »Verlaß dich drauf, wenn die da im Busch feiern wollen, daß sie ihre riesigen Schwären losgeworden sind, werden sie auch gern einmal einen Stühle-Tanz... Dann trifft es sich doch bestens, daß du ein bißchen mit der Ziehharmonika umgehen kannst! Ach ja, stell sich einer vor, mein Sohn im Dienst der leidenden Menschheit.«
    Während er noch immer unbeholfen um seinen Stuhl herum tanzte, wurde er wieder gerührt. Seufzend setzte er sich hin.
    Meine Mutter kam herein, sah seine verheulten Augen, sagte: »Was ist los? Heulst da Rotz und Wasser? Hilf mir lieber mal, ich arbeite, daß mir der Schweiß runterläuft, und du hockst hier rum und flennst.«
    Er antwortete meiner Mutter nicht, blickte mich nur weiter mit feuchten Augen an, und deshalb sagte ich nach einer Weile: »Ich mach noch mal einen kleinen Spaziergang.«
    »Ja, mach du nur einen kleinen Spaziergang«, sagte er feierlich.
    Draußen war bereits die lange Dämmerung eines Sommerabends angebrochen. Am Veerhoofd standen schweigend Pärchen am Ufer. Auf der Fähre brannten schon die Bord- und Topplichter. Die ewige Flamme von Pernis flackerte dank eines merkwürdigen Ostwindes zu unserer Seite herüber. Lange stand ich dort auf den schrägen Basaltblöcken und dachte: Berlioz wurde auch von seinem Vater gezwungen, Medizin zu studieren, und ist doch ein sehr guter Komponist geworden, auch wenn sein Werk in harmonischer Hinsicht etwas fade ist. Also, das geht durchaus.
    Doch nur der Militärdienst erschien mir noch schlimmer als das Studium der Medizin. »Und wenn ich nun«, murmelte ich den grauen Wellen zu, »genau wie

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