Das Wüten der ganzen Welt
Richtungen und absolviert in der Zeit ein Viertagerennen mit seinem Söhnchen. Jeder, der irgendwann auch nur irgend etwas mit Vroombout zu tun gehabt hat, wurde nach Strich und Faden befragt.«
»Aber haben Sie denn irgendwann mal etwas mit Vroombout zu tun gehabt?«
»Mit Vroombout selber nicht, wohl aber mit seinem ältesten Bruder, mit Willem, mit dem hatte ich mich gut angefreundet, nachdem ich seiner todkranken Mutter einmal spätabends noch ein Pülverchen gebracht hatte, wonach sie sich sehr schnell erholte. Er brachte mir immer eine Portion Wolfsfisch, wenn er wieder an Land kam. Ich war auch bei ihnen zu Hause, sie wohnten damals alle noch bei ihrer Mutter, von der konnten sie sich nicht so recht lösen. Sie war denn auch sehr dominierend, eine Frau mit Vergangenheit, sie hatte den Burenkieg mitgemacht, sie hat sogar ein englisches Konzentrationslager überlebt. Willem ist leider im Krieg umgekommen. Seinen Bruder kannte ich natürlich auch, aber der lag mir nicht so. Wenn man ihn reden hörte, wußte man immer, mit wem er zuletzt gesprochen hatte. Und er war ein schreckliches Muttersöhnchen, noch viel mehr als Willem. Also daher.«
Was er mit »Also daher« meinte, war mir nicht klar. Ebensowenig war mir klar, was ich jetzt weiterfragen sollte. Und doch wollte ich etwas fragen, wollte ich mir jetzt, wo er ohnehin angesäuselt war, die Chance nicht entgehen lassen, von ihm zu erfahren, was er darüber dachte, warum Douvetrap mir Fotos gezeigt hatte, auf denen meine Klavierlehrerin und er zu sehen waren. Nach einem tüchtigen Schluck Sylvaner stellte ich die nächstliegende Frage: »Und was hatte Williams Mutter mit Vroombout zu tun? Wie kannte die Vroombout, oder wie kommt es, daß sie...«
»Sie waren so ungefähr im selben Alter«, sagte Minderhout, »und Alice war früher ein außerordentlich schönes Mädchen, nun ja, früher, sie sieht immer noch sehr gut aus, also gut: Früher hatte sie jede Menge Verehrer. Soweit ich weiß, ist Arend ihr vor allem zu Beginn des Krieges richtig nachgelaufen. Also daher.«
Als wir später in der Nacht nach dem blödsinnigen Heulen der Schiffssirenen und dem sinnlosen Knallen des Feuerwerks über die von Leuten wimmelnde Havenkade liefen, sagte William, während wir angetrunkenen Binnenschiffern auswichen: »Der Lügner, der Lügner! Arend soll meiner Mutter nachgelaufen sein! Wo Arend sich überhaupt nicht für Mädchen interessierte!«
»Aber warum hast du das nicht gesagt? Hättest deinen Mund mal aufmachen sollen! Hast mich die ganze Zeit frage n lassen, du hast nichts gesagt.«
»Hätte ich denn verraten sollen, daß Arend vom anderen Ufer war?«
»Aber das weiß er doch wohl längst?«
»Kannst du gar nicht wissen.«
»Und wenn er es nicht wüßte, wäre es dann so schlimm gewesen...«
»Ich wollte es ihm jedenfalls nicht sagen.«
»Ja, aber dadurch sind wir nun noch keinen Schritt weitergekommen.«
»Ach, was soll's, was hat das jetzt noch zu sagen, wer ihn ermordet hat, er lebt nicht mehr, und auch wenn man wüßte, wer es getan hat, dadurch kommt er nicht zurück.«
»Vermißt du ihn?« fragte ich.
»Ja«, sagte er.
»Er war im Krieg ein Verräter.«
Er antwortete nicht sofort, schwenkte heftig sein Köfferchen, in dem seine Querflöte lag, und sagte scharf: »Meinst du, daß ich ihn nicht nett finden durfte, weil er im Krieg ein Verräter war?«
»Weiß ich nicht«, sagte ich.
»Was meinst du eigentlich, warum im Hoofd immer so verächtlich von deinem Vater und deiner Mutter geredet wird?«
»Nicht weil sie Verräter waren.«
»Woher willst du das so genau wissen? Ich habe nie ausdrücklich sagen hören, daß sie jemanden verraten haben, und doch...«
»Ich kann mir nicht vorstellen, daß sie Verräter waren«, sagte ich nachdrücklich.
»Warum reden sie hier dann so verächtlich über deine Eltern?«
»Weil mein Vater so ein Schacherer ist«, sagte ich, »und weil sie nicht von hier sind, weil sie erst am Ende des Krieges hierhergezogen sind.«
Wieder schwenkte er sein Köfferchen, strich sich mit der Hand über die Stirn und sagte: »Wir müssen das nun erst mal ruhen lassen, wir kommen nie dahinter, und außerdem hilft es nichts, das zu wissen.«
Schweitzer
Zwei Wochen nach dem Jahreswechsel erzählte mein Vater vergnügt bei Tisch: »Minderhout soll mit einem seiner Apothekendämchen geknutscht haben. Und daher ist sein eigenes mokkeltje nun über alle Berge.«
Er sah mich treuherzig und irgendwie triumphierend an. »Oder
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