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Das Wüten der ganzen Welt

Das Wüten der ganzen Welt

Titel: Das Wüten der ganzen Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maarten 't Hart
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Lösung des rätselhaften Todes von Vroombout nähergebracht. Es wäre nicht richtig, sie hier auszusparen. Und es ist auch nicht möglich, den einen kurzen Satz, mit dem sie mich alarmierte, ohne Zusammenhang wiederzugeben. Dann würde niemand verstehen, warum diese paar Wörter mir die Augen öffneten.
    Ich will zumindest versuchen, diese Episode so kurz wie möglich zu halten. Getrost kann ich die Abende im Juli überspringen, an denen sie immer früher auftauchte. Sie lauschte Bach und Ihr Blümlein alle und meinen kurzen Stückchen. Sie bereitete Tee und schlich mit Tee und Tassen auf Zehenspitzen zum Erker; und wo sie auch ging, und was sie auch tat: Es war, als behielte sie mich stets scharf im Auge.
    Nach anderthalb Wochen sagte sie, als ich sie an einem furchtbar warmen Abend nach Hause brachte: »Ich hätte solche Lust, an den Strand zu gehen, ich will so gern einmal wieder auf bloßen Füßen am Meer entlanglaufen, aber allein trau ich mich nicht, denn dann sind sofort alle möglichen blöden Kerle hinter mir her, und meine Freundinnen haben alle ein Verhältnis... na ja, ich könnte mit Ria gehen, aber die ist so 'ne lahme Ente...«
    Sie sah mich voller Erwartung an, aber ich kapierte absolut nicht, daß sie mich auf einem Umweg einlud, mit ihr ans Meer zu radeln.
    »Du kannst doch mit deiner Schwester gehen«, sagte ich.
    »Mit meiner Schwester, ja, ach, sag mal, die ist... nein, wie kommst du darauf?«
    Schweigend liefen wir eine Weile nebeneinander weiter. Sie sagte: »Du gehst sicher nie an den Strand?«
    »Nee, niemals«, sagte ich, »man kriegt Sand in die Augen und Sand zwischen die Zehen, und man verbrennt sich, und wenn man schwimmen geht, hat man die ganze Zeit Angst, daß einem jemand die Kleider klaut.«
    »Oh, aber man kann an einen ganz stillen Platz gehen, ich weiß bei 's-Gravezande einen ganz ruhigen Platz, dahin kommt nie jemand, schon gar nicht an einem normalen Wochentag. Guck mal, morgen ist Dienstag, dann ist es da menschenleer, und nach dem Wetterbericht wird es morgen noch wärmer als heute. Richtiges Strandwetter!«
    Sie sah mich einmal kurz an, stupste meine Hand ein wenig an und sagte leichthin: »Ein einziges Mal, du kannst doch wohl ein einziges Mal an den Strand gehen?«
    »Und dann den ganzen Abend so ein Kribbeln in den Augen«, sagte ich voll Abscheu. »Nur mal kurz mit Borwasser spülen«, sang sie. Ich schüttete mich aus vor Lachen. Sie lachte ungestüm mit, wieder stupste sie meine Hand kurz an und sagte: »Was machst du morgen?« »Komponieren«, sagte ich.
    »Oh, das geht bestimmt auch am Strand!«
    »Willst du, daß ich... soll ich... ja, aber... Strand.«
    »Wir brauchen nicht ganz bis zum Strand zu fahren«, sagte sie, »wir können auch auf halbem Weg anhalten, beim Staelduynse Wald oder beim Hoekse Wäldchen. Holst du mich morgen um halb zehn ab?«
    »Na gut«, sagte ich.
    Am nächsten Tag radelte ich neben ihr über den hohen, breiten Deich. Noch bevor wir die Stadt hinter uns gelassen hatten, zeigte sie auf die kleinen Arbeiterwohnungen, die sich tief unter uns am anderen Fleetufer in der glatten Wasserfläche spiegelten.
    »Da wohnt meine älteste Schwester«, sagte sie, »mit der habe ich gestern telefoniert. Sie sagte zu mir: ›Janny, überleg dir gut, was du tust. Du willst mit dem Jungen von Goudveyl zum Strand? Paß bloß auf, der Junge ist bis über beide Ohren in dich verliebt.‹«
    »Sie kennt mich doch gar nicht«, sagte ich völlig verblüfft.
    »Sie kennt dich sehr gut, sie hat schon sehr viel von dir gehört.«
    »Ich... verliebt... wie kommt sie darauf... ich weiß nicht mal, wie das ist.«
    »Bist du noch nie verliebt gewesen?«
    »Soweit ich weiß, nicht.«
    »Wie schade für dich. Es ist so schön, verliebt zu sein, es ist das Allerschönste, was einem passieren kann.«
    »Vielleicht würde ich, wenn ich verliebt wäre, nicht einmal wissen, daß ich es bin, denn ich weiß echt nicht, wie das dann ist. Was fühlt man, wenn man verliebt ist?«
    »Daß man jemanden sehr nett findet und sehr gern bei ihm sein will. Hast du noch nie ein Mädchen sehr nett gefunden?« »Nee«, sagte ich. »Ein bißchen nett denn?« »Och... ja... na ja...«
    »Wen findest du zum Beispiel ein bißchen nett?« »Dich«, sagte ich, ohne nachzudenken. Sie antwortete nicht, und ich sah zu den Häuschen hinüber, die von der windstillen Oberfläche des Fleets überdeutlich widergespiegelt wurden, so daß es schien, als wären es zwei Welten. In einer dieser Welten

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