Das Wüten der ganzen Welt
füreinander bestimmt! Und da mußtest ausgerechnet du dazwischenkommen! Was denkst du dir eigentlich? Wer bist du denn? Im Ernst, Herman und ich sind füreinander bestimmt, wirklich wahr; als ich erst drei Jahre alt war, hat Herman schon zu mir gesagt, daß er mich heiraten will.«
»Im Kindergarten«, sagte ich höhnisch.
»Ja, im Kindergarten! Wer gibt dir das Recht, dich dazwischenzudrängen?«
»Dazwischendrängen? Ich? Du wolltest immer an den Strand.«
»Lügner! Herman und ich... im Ernst, du darfst nicht dazwischenkommen, wir waren schon verlobt, als wir drei waren, und wenn das vielleicht noch nicht reicht, kann ich dir erzählen, daß es noch weiter zurückgeht. Die Mutter von Herman und mein Vater sind sehr, sehr verliebt ineinander gewesen, aber sie konnten nicht heiraten, weil sie nicht in derselben Kirche waren. Wirklich, wir gehören zusammen, denn seine Mutter und mein Vater... es hat bei ihnen auf dem Schiff nach England angefangen, und dieses Schiff ist damals von den Deutschen in die Luft gejagt worden, und dann sind sie nach Hoek zurückgerudert.«
»Janny«, sagte ich, »ich will wirklich nicht zwischen dich und Herman treten, ich finde dich sehr, sehr nett, aber ich habe nie daran gedacht, mit dir... mit dir... nun ja, du warst schon mit Herman verlobt, das habe ich die ganze Zeit gewußt und die ganze Zeit respektiert.«
Heimlich war ich stolz darauf, daß mir dieser letzte Ausdruck eingefallen war, aber es war, als wenn sie gar nicht richtig zugehört hätte, denn sie sagte nur: »Du warst bis über beide Ohren verliebt, und darum bin ich... na ja, gut, ich finde dich auch sehr, sehr nett, viel zu nett finde ich dich, aber es geht nicht, es geht wirklich nicht, wir gehen nicht mehr an den Strand, es muß nun endgültig aus sein zwischen uns.«
»Dann steig ich jetzt auf«, sagte ich und sprang auf mein Fahrrad und fuhr weg. Einmal blickte ich mich um, und ich sah, wie sie noch an derselben Stelle stand, wo ich aufs Rad gestiegen war. Sie schien völlig erstarrt, sie winkte nicht, als ich meine Hand zum Abschied hob. Sie war von Kopf bis Fuß mit den grauen Flöckchen des Sumpfaschenkrauts bedeckt.
Unterwegs nach Hause dachte ich nicht an das, was sie mir über Hermans Mutter und ihren Vater erzählt hatte. Ich war empört, aber zugleich auch erleichtert, und diese Erleichterung half mir über die Septembertage mit Strandwetter hinweg. Vor allem vermißte ich ihre sanften Hände, die mich immer so sorgfältig mit Sonnenöl eingerieben hatten. Als ich sie drei Wochen später wiedersah, im Erker, lächelte sie mir wie immer zu, und es war, als wäre nichts geschehen. Nach Hermans Rückkehr blickte sie mich, wenn wir uns sahen und Herman in der Nähe war, immer sehr herausfordernd an. An einem Abend im Oktober stand ich im Erker und schaute über den Fluß. Sie stellte sich neben mich. In der Spiegelung des Fensters sah ich, daß sie mich ununterbrochen anschaute, und ich schaute zurück und hörte hinter mir Hermans Schritte. Sie hörte diese Schritte natürlich auch, und in ihren ohnehin schon herausfordernden Blick wußte sie auch noch so etwas wie Triumph zu legen. Das machte mich wütend, und ich legte meinen rechten Arm um sie, zog sie an mich und küßte sie voll auf die Lippen. Sie riß sich los, stürzte sich in Hermans Arme, der hinter uns stand, und schrie hysterisch: »Herman, Herman, er hat mich festgehalten, er hat mich gepackt, er hat mich geküßt, er... er...«
»Darüber brauchst du dich doch nicht so aufzuregen?« sagte er. »Ihr seid wochenlang zusammen am Strand gewesen. Du kannst mir nicht erzählen, daß er dich da nie umarmt oder geküßt hat. Und - weiß ich, was da sonst vielleicht noch passiert ist.«
»Nein, gar nicht wahr, es ist nie etwas passiert, wirklich nicht... wirklich nicht... ich schwör es dir, es ist nie etwas passiert, nie, nie!«
»Das kann ich nicht glauben«, sagte er, »das ist meiner Meinung nach unmöglich.«
»Es ist wirklich wahr«, sagte ich, »es ist nie etwas passiert.«
»Es tut mir leid«, sagte er, »aber ich weigere mich, das zu glauben. Seit Anfang Juli seid ihr, ich weiß nicht wie oft, zusammen am Strand gewesen. Mach mir nun nicht weis... ach, hör auf... reg dich doch nicht so auf, ich habe euch schon lange vergeben.«
Wie oft er das wiederholt hat! Noch Monate später, wenn wir wieder im Erker saßen und über den Fluß schauten, wies er feierlich darauf hin, daß er wüßte, verstünde und uns vergäbe. Und da besonders
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