Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Wüten der ganzen Welt

Das Wüten der ganzen Welt

Titel: Das Wüten der ganzen Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maarten 't Hart
Vom Netzwerk:
Elend, Erlösung, Dankbarkeit, weiß ich nicht mehr, denn es schoß mir während der Predigt durch den Kopf: Die Mannschaft dieses Schiffs wies ihr Elend Jona zu. Sie machte ihn zum Sündenbock. So wird es auch auf dem Kutter gewesen sein. Nimmst du Fremde an Bord, und das Schiff geht unter, dann ist die Mannschaft fest davon überzeugt, daß die Fremden das Schiff ins Unglück gestürzt haben. So sagte es Varekamp doch: «Es war deren Schuld!« Außerdem wurden in diesem Fall die Männer der Schiffsbesatzung auch noch arbeitslos. Wie nachtragend werden die wohl gewesen sein! Gut, aber dann würde man doch eher erwarten, daß einer von der Mannschaft einen Passagier ermordet. In Wirklichkeit aber ist ein Mann der Schiffsbesatzung ermordet worden. Von einem der Passagiere? Aber warum dann?
    Noch bevor Jona im Schlund des Walfischs verschwand, war ich beinahe überzeugt, daß der Mord an Vroombout nichts mit dem Untergang des Kutters zu tun haben konnte. Ich atmete auf. Nun brauchte ich meine Klavierlehrerin nicht mehr nach diesen Namen zu fragen. Doch andererseits bedauerte ich es. Meinte ich endlich einen Anknüpfungspunkt gefunden zu haben, so wurde er von Jona, der in der Predigt eine halbe Stunde brauchte, um von der Zunge bis in den Magen zu gelangen, als Phantasterei entlarvt.
    Nach dem Gottesdienst lief ich über die Havenkade zum Hoofd. Hinter mir erklangen hastige Schritte.
    »Nicht so schnell«, rief William.
    Ich wartete auf ihn. Er ging jetzt neben mir, ich fragte: »Warst du auch im Bekenntnisgottesdienst? Aber du bist doch evangelisch?«
    »Alles Quatsch«, sagte er, »ja, gut, ich bin evangelisch, aber ich wollte doch sehen, ob Herman wirklich ›Ja‹ sagt. Er denkt notabene genauso darüber wie ich, er findet auch, daß das alles Unsinn ist, und doch... was für ein Heuchler, es kommt nur durch Janny, die hat ihn soweit gekriegt... hast du gehört, was der Pastor vorlas: ›Der Gott aller Gnaden befestige, stärke und gründe euch beide, die ihr nun in die Gemeinde des Christus eingesteift seid.‹«
    »Eingesteift? Ach was, er sagte: einverleibt!«
    »Stimmt nicht, er sagte: eingesteift. Sie sind nun in die Gemeinde des Christus eingesteift. Eingesteift sind sie, genau wie die Menschen da in der Kirche, alles eingesteifte Menschen. Und so sitzen sie auch da mit ihren rosa und hellblauen Hütchen und pastellfarbenen Kleidern und ihren schwarzen Jacken und gestreiften Hosen; so sitzen sie auch da, sie sind eingesteift. Wie schrecklich, wie entsetzlich, wenn du ein Bekenntnis ablegst, dann wirst du eingesteift. «
    »Es ist nicht wahr, er sagte: einverleibt.«
    »Was hast du für schlechte Ohren. Weißt du, was du werden solltest? Klavierstimmer im Taubstummenheim. Er sagte wirklich: eingesteift. Also, daß du's nur weißt: Ich will nie eingesteift werden, nie, nie, nie und nie, bei Gott, wie entsetzlich, legst du ein Bekenntnis ab, dann wirst du eingesteift.«
    Bis zur Bahnlinie wiederholte er verzweifelt das Wort »eingesteift«. Es war unmöglich, mit ihm zu reden. Erst als wir die Brücke überquert hatten, schaffte ich es, nebenbei zu bemerken: »Ich habe den Mord an Vroombout beinahe gelöst.«
    »Eingesteif... was... was sagst du?«
    »Daß ich wieder etwas erfahren habe über den Mord an Vroombout.«
    »Denkst du immer noch daran?«
    »Ja, ich kann es nicht von mir wegschieben, und von Janny erfuhr ich, daß deine Mutter und ihr Vater...«
    »Oh, die Geschichte, das scheint überhaupt nicht wahr zu sein, ihr Vater hatte ein Auge auf meine Mutter geworfen, das ist alles.«
    »Na gut, laß es nicht wahr sein, aber sie waren alle beide auf dem Kutter, und Vroombout fuhr auch mit. Das kann beinahe kein Zufall sein.«
    »Und was ist mit Minderhout? Saß der auch im Kutter?«
    »Nein, soweit ich weiß, nic ht.«
    »Also, worüber reden wir dann? Ach, schlag dir das Ganze doch aus dem Kopf, denk nicht mehr dran, das ist schon so lange her.«
    »Und doch würde ich gern wissen, wer noch auf dem Kutter nach England zu flüchten versuchte. Kannst du nicht mal deine Mutter vorsichtig danach fragen?«
    »Traust du dich nicht?«
    »Ich wollte es gestern tun, aber ich kam nicht dazu.«
    »Wir werden sie nachher sofort fragen«, sagte er. »Warum sollte sie das denn nicht sagen wollen?«
    »Vielleicht weiß sie es nicht mehr.«
    »Die? Die hat ein eisernes Gedächtnis, sie behält alles.«
    Und als wir eine Viertelstunde später bei Pulverkaffee und Kokosmakronen Hermans und Jannys »Einsteifung« im Erker

Weitere Kostenlose Bücher