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Das Wüten der ganzen Welt

Das Wüten der ganzen Welt

Titel: Das Wüten der ganzen Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maarten 't Hart
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wollte, ich stünde wieder dort, an einem solchen Sommertag im Februar, während sich die Gardinen blähten und mir ins Gesicht wehten. Solange sich das Weltall ausdehnt, bleibt jeder Augenblick in einem Menschenleben bestehen, denn irgendein Fleckchen im Weltall ist genauso viele Lichtjahre von diesem Augenblick entfernt. Wenn du an jenem Fleckchen wärst und durch ein Fernglas zur Erde schauen könntest, würdest du dich selbst dort stehen sehen - am offenen Fenster, in der Sonne, für immer an den einen Punkt der Zeit festgenagelt, der niemals verlorengehen wird. 

Titrieren
     
    Der katastrophalste Teil dieses sowieso schon so katastrophalen Studiums war das Titrierpraktikum. Warum mußte ausgerechnet ich monatelang titrieren, während Millionen von Menschen niemals titriert haben? Auc h ich hätte doch zu diesen Millionen gehören können? Wenn ich da saß, in diesem Praktikumssaal aus dem neunzehnten Jahrhundert mit den hohen Fenstern, und vorsichtig Tropfen für Tropfen aus meiner Bürette in der Flüssigkeit verschwinden ließ, dessen Titer ich bestimmen sollte, überfiel mich mit absoluter Sicherheit ein Gefühl der Verzweiflung, das mit jedem farbigen Tropfen wuchs. Ab und zu kam, auf monströsen hohen Hacken, die Praktikumsassistentin vorbei, um mit einem ihrer unerhört langen und meistens feuerrot lackierten Fingernägeln an meine Bürette zu tippen. Es schien, als wenn diese pharmazeutische Hexe noch einmal betonen müßte, wie unvorstellbar es war, daß ich da saß, ich, der ich doch alle Zeit meines Lebens dafür nutzen mußte, um die Kantaten von Bach kennenzulernen. Und neben mir saß Jozef Zonderman, der völlig aufging in diesem Tröpfeln und Fieberwangen bekam, wenn die pharmazeutische Hexe mit einer ihrer Krallen an seine Bürette tippte. »Sie hat ein Auge auf dich geworfen«, sagte er.
    »Mein Gott«, sagte ich.
    An einem dieser endlosen Nachmittage betrat der Titrier-Professor persönlich den Praktikumssaal. Leutselig wandelte er von einem Studenten zum anderen. Gutmütig und freigebig erteilte er bei jeder Bürette Ratschläge. Von der Hexe flankiert, kam er langsam in meine Richtung. Jozef Zonderman überging er. Die Hexe sagte: »Das ist er.«
    Der Titrier-Professor rieb mit der rechten Faust die Innenfläche seiner linken Hand. Er sagte: »Mijnheer Goudveyl, klappt es denn?«
    Er wartete die Antwort nicht ab, sondern fügte hinzu: »Von meinem Studienfreund Simon Minderhout, Ihnen wohlbekannt, wie ich annehme, habe ich erfahren, daß Sie ein hervorragender Klavierspieler sind. Nun, meine Frau und ich spielen schon seit Jahr und Tag mit einem unserer Kollegen Trio. Meine Frau spielt Geige, ich spiele Cello, und der Kollege spielt Klavier. Er hat jedoch für ein Jahr eine Einladung als Gastdozent nach Berkeley bekommen. Meine Frage ist nun: Würden Sie vielleicht geneigt sein, ihn vorübergehend zu vertreten?«
    »Ja, aber so gut bin ich gar nicht«, sagte ich verwirrt.
    »Simon hat aber sehr von Ihnen geschwärmt. Wir sollten doch wenigstens einmal ausprobieren, ob wir zusammen musizieren können. Könnten Sie beispielsweise morgen abend?«
    »Ja, Herr Professor, ich glaube schon«, sagte ich.
    »Also, was hindert uns noch?« sagte er. »Kommen Sie gegen acht zur Eilandpolderlaan 6 in Voorschoten. Wir können ein paar langsame Sätze aus den Haydn-Trios vom Blatt spielen und dann überlegen, was wir uns in Zukunft vornehmen wollen. Davon können Sie dann den Klavierauszug mitnehmen und üben. Also, bis morgen abend!«
    Er schritt neben der Hexe weiter. Verblüfft starrte ich ihm nach und dachte: Warum fragt er mich? Er kennt bestimmt noch viele andere Pianisten. Warum dann ich? Er hat mich noch nie spielen hören. Wie kommt er darauf, mich, ein Erstsemester, aufzufordern, mit ihm zu musizieren?
    Tropfen um Tropfen ließ ich aus meiner Bürette in mein Bechergläschen fallen. Zweimal kam am selben Nachmittag noch die Hexe vorbei, um mich mit ihrem ange malten Mäulchen süß anzulächeln.
    Am Tag darauf fuhr ich abends mit dem Fahrrad nach Voorschoten. Es nieselte; es hätte November sein können, es war März, aber nichts deutete darauf hin, daß schon bald Frühling sein würde. Zweimal fragte ich nach der Eilandpolderlaan, und schließlich gelangte ich zu einem Schlängelpfad, der zum Rijn-Schie-Kanaal führte. Dort fand ich, hinter Sträuchern verborgen, direkt am Wasser die Nummer 6. Hastig stellte ich mein Fahrrad ab. Noch bevor ich an der Haustür klingelte, kam eine Frau die Stufen

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