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Das Wunder des Pfirsichgartens: Roman (German Edition)

Das Wunder des Pfirsichgartens: Roman (German Edition)

Titel: Das Wunder des Pfirsichgartens: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Addison Allen
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gelegenen Wasserfälle sehr häufig aufstieg, war weit über die Grenzen des Ortes hinaus bekannt. In jedem Laden an der National Street wurden Nebelgläser verkauft – graue Gläser, die Touristen als Andenken erwarben. Willa glaubte, dass es so ähnlich sein musste, wenn man am Meer lebte. Wer es jeden Tag sah, fragte sich bestimmt manchmal, was denn daran so besonders sein solle.
    Der Nebel begann sich soeben unter der aufkommenden Hitze zu lichten, als Willa am nächsten Morgen in ihren Wrangler stieg und zum Altenheim fuhr. Zum Glück war Colin mitten in der Nacht aufgewacht und samt seiner Enttäuschung, dass sie dem Ort keine heimlichen Streiche spielte und keine achtzehn mehr war, heimgefahren.
    Sie hätte es lieber gehabt, wenn er nicht bei ihr aufgetaucht wäre. Sie war erwachsen geworden und verhielt sich nun entsprechend. Und das tat sie genau an diesem Ort, weil sie die Menschen hier nicht mehr enttäuschen wollte.
    »Hi, Großmutter Georgie«, sagte Willa munter, als sie ins Zimmer trat. Ihre Großmutter saß bereits angezogen und leicht vornübergebeugt in ihrem Rollstuhl am Fenster. In der Morgensonne, die auf ihr weißes Haar und ihr blasses Gesicht schien, wirkte sie beinahe durchsichtig. Früher war sie mit ihren großen Augen, den hohen Wangenknochen und einer langen, schlanken Nase eine richtige Schönheit gewesen. Manchmal erkannte man noch Spuren davon; dann war es, als würde man durch ein Zauberglas spähen.
    Bei ihrer Großmutter hatten sich die ersten Anzeichen von Demenz gezeigt, als Willa auszog, um aufs College zu gehen. Damals hatte Willas Vater sie zu sich geholt und in Willas ehemaligem Zimmer einquartiert. Zwei Jahre später erlitt sie einen Schlaganfall, und er musste sie in ein Pflegeheim geben. Willa wusste, dass ihm diese Entscheidung nicht leichtgefallen war. Aber immerhin hatte er es geschafft, sie in der besten Einrichtung der Gegend unterzubringen. Nach dem Tod ihres Vaters übernahm Willa seine Besuche, weil er, wie sie vermutete, das so gewollt hätte. Er hatte seine Mutter sehr geliebt und stets alles für sie getan.
    Willa hatte ihre Großmutter immer gemocht, obwohl diese zu den Leuten gehörte, die unsichtbare Stacheln haben und somit verhindern, dass man ihnen zu nahe kommt. Georgie Jackson war nervös und wachsam gewesen und alles andere als leichtfertig. In Anbetracht des einstigen Reichtums der Jacksons hatte sich Willa stets darüber gewundert. Nachdem die Familie all ihr Geld verloren hatte, hatte Georgie bis weit über ihr siebzigstes Lebensjahr hinaus als Bedienstete für diverse wohlhabende Familien in der Stadt gearbeitet.
    Genau wie Willas Vater war sie immer sehr still gewesen. Doch an das Lachen ihrer Mutter, die Lauteste in der Familie, konnte sich Willa noch gut erinnern; ein Prasseln wie von knisternder Holzkohle. Sie hatte als Empfangssekretärin in einer Anwaltskanzlei gearbeitet und war gestorben, als Willa sechs war. Damals hatte Willa angefangen, »tot sein« zu spielen. Sie drapierte sich komplett durchnässt auf der Couch, als wäre sie dort ertrunken. Manchmal legte sie sich auf die Motorhaube und tat so, als wäre sie überfahren worden. Ihr Lieblingstod war der Tod durch Löffel. Dafür begoss sie sich von oben bis unten mit Ketchup und legte sich auf den Küchenboden, nachdem sie sich Löffel unter die Achseln gesteckt hatte. In dem Alter hatte Willa den Tod nicht verstanden und geglaubt, er könne nicht so schlimm sein, wenn er einem so lieben Menschen wie ihrer Mutter widerfuhr. Offen gestanden hatte der Tod sie richtig fasziniert.
    Einmal hatte ihre Großmutter sie dabei ertappt, wie sie ein Fantasiegespräch mit ihrer Mutter führte, und sofort sämtliche Fenster weit aufgerissen und Salbei verbrannt. »Geister sind etwas Schreckliches«, hatte sie erklärt. »Man redet nicht mit ihnen. Man hält sie von sich fern.« Es hatte Willa erschüttert und lange gedauert, bis sie ihrer Großmutter verzeihen konnte, dass sie ihr die Verbindung zu ihrer Mutter verwehrte und ihr sogar noch Angst davor einflößte, egal, wie albern es war.
    All diese abergläubischen Vorstellungen waren nun aus dem Kopf ihrer Großmutter verschwunden. Sie erkannte Willa nicht einmal mehr. Aber Willa wusste, dass sie den Klang von Stimmen mochte, auch wenn sie die Worte nicht verstand. Deshalb kam Willa mehrmals in der Woche zu ihr und redete über die Nachrichten, darüber, wie die Bäume in der jeweiligen Jahreszeit aussahen, was sie gerade in ihrem Laden verkaufte

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