Das Wunder des Pfirsichgartens: Roman (German Edition)
Dunkelheit wie ein Mantel um sie legte.
Sie hätte schwören können, ein leises Lachen zu hören.
DREI
Der Kodex der Außenseiter
A ls Willa die letzte Ladung Wäsche aus dem Trockner holte, hörte sie jemanden an die Tür klopfen. Sie ahnte schon, wer es war, aber nachdem ihre Fenster geschlossen waren und die Klimaanlage lief, dachte sie, ihre empfindlichen Nachbarn würde es nicht stören, wenn sie Bruce Springsteen voll aufdrehte.
Sie stellte den Wäschekorb auf den Küchentisch, übersprang ihr übliches Ritual, das Gesicht in der warmen Wäsche zu vergraben, und ging durch ihr schmales, lang gezogenes Haus zum Eingang.
Das war einer der Nachteile, wenn man in einem alten Viertel wohnte, bei dem die Häuser dicht an dicht standen. Aber Willa hatte das Haus, in dem sie aufgewachsen war, geerbt, als ihr Vater vor fast sieben Jahren gestorben war. Ein hypothekenfreies Heim war nicht zu verachten, vor allem nachdem sie es endlich geschafft hatte, die astronomischen Schulden abzubezahlen, die sie in ihrem Studium angehäuft hatte. In Walls of Water lebte eine ungewöhnlich hohe Zahl wohlhabender Einwohner. In ihrer Jugend hatte sie es gehasst, nicht dazuzugehören. Während ihres Studiums war es ein berauschendes Gefühl gewesen, plötzlich so unproblematisch an Geld zu kommen und es mit beiden Händen auszugeben, ganz so, wie sie es immer gewollt hatte. Ihr Vater war gestorben, bevor er herausfand, wie hoch verschuldet sie war.
Doch jetzt war sie dank ihrem Vater, der ihr das Haus hinterlassen und sie als Begünstigte seiner Lebensversicherung eingesetzt hatte, die Besitzerin eines schuldenfreien Unternehmens und eines Hauses. Erwachsen und vernünftig zu sein war ihm immer ein großes Anliegen gewesen. Ihr jetziges Leben stellte eine Art Buße dar. Das war sie ihm schuldig. In ihrer Jugend hatte sie es nicht geschafft, all ihre rastlose Energie zu bändigen und das ruhige Leben zu führen, das ihr Vater und ihre Großmutter sich für sie gewünscht hatten. Damals hatte sie den beiden viel Kummer bereitet.
Springsteen grölte gerade »I’m on Fire«, als sie die Tür öffnete. Sie hob den Blick, und der Mann auf der Schwelle sagte: »So treffen wir uns also wieder.«
All die Laute, die sich in ihrer Kehle geformt hatten, waren plötzlich verschwunden.
»Du bist heute so schnell abgehauen, dass du das hier vergessen hast.« Der Mann hielt die Einladung hoch.
Sie nahm sie ihm rasch ab und versteckte sie hinter ihrem Rücken, auch wenn sie nicht wusste, warum.
Er steckte die Hände in die Taschen. Noch immer trug er dieselbe Hose und das Anzughemd, das jetzt trocken war und an zerknittertes Papier erinnerte. Das helle Licht des Globus neben ihrer Tür blendete ihn ein wenig. Er kniff die Augen zusammen, sodass sich kleine Fältchen drumherum bildeten. Lange starrte er sie an, bis er schließlich sagte: »Ich habe die Schuld für deine Streiche auf der Highschool auf mich genommen. Dafür könntest du mich jetzt wenigstens hereinbitten.«
Das brachte sie wieder zur Besinnung. »Du hast nicht die Schuld auf dich genommen, sondern den Ruhm eingeheimst«, verbesserte sie ihn.
Colin lächelte. »Also erinnerst du dich noch an mich.«
Natürlich erinnerte sie sich an ihn. Eben deshalb war es ihr so peinlich gewesen, von ihm auf dem Jackson Hill erwischt zu werden. Obwohl sie Colin in der Schule nie besonders beachtet hatte, wusste jeder, wer er war – nämlich ein Osgood. Aber er stand damals immer im Schatten seiner beliebten und eigensinnigen Zwillingsschwester. Allerdings schien ihm das nichts auszumachen. Wahrscheinlich hätte Colin genauso beliebt sein können wie Paxton, doch er war wohl nicht so interessiert daran wie sie, sich jedes Jahr zum Schülersprecher aufstellen zu lassen und drei Millionen Klubs beizutreten. Er hatte meist mit Jungs herumgehangen, die pastellfarbene Poloshirts trugen und am Wochenende Golf spielten. Colin schien prädestiniert dafür, nach dem College heimzukehren und den Platz seines Vaters als König des Golfplatzes zu übernehmen. Doch das hatte er nicht getan. Willa wusste nicht, warum.
Sie hatte nicht absichtlich versucht, ihm ihre Streiche auf der Highschool in die Schuhe zu schieben. Am Anfang ihres letzten Schuljahrs war sie eines Nachts aus dem Haus geschlichen und hatte ein Zitat des Dichters Ogden Nash ans Vordach der Schule gehängt: »Candy is dandy but liquor is quicker – Schokolade bringt viel, aber mit Alk kommst du schneller ans Ziel.« Sie hatte
Weitere Kostenlose Bücher