Das Wunder des Pfirsichgartens: Roman (German Edition)
Hause gefahren. Das lag sieben Stunden zurück. Willa war für ihre Verhältnisse viel zu lang geblieben, obwohl die Party noch im vollen Gang war, als sie sich verabschiedete. Rachel war eigentlich keine typische Zweiundzwanzigjährige, ihr Alter zeigte sich nur, wenn sie mit Gleichaltrigen zusammen war. An diesem Abend hatte Willa wieder einmal festgestellt, wie viel ein Altersunterschied von acht Jahren ausmachen kann. Nicht dass sie sich danach sehnte, wieder zweiundzwanzig zu sein – in dem Alter hatte sie ihr Studium geschmissen, viel zu viel getrunken und gefeiert –, aber sie vermisste das Gefühl, im Hier und Jetzt zu leben und alles ganz bewusst wahrzunehmen.
Rachel und ihr Freund hatten ein winziges Farmhaus außerhalb des Ortes gemietet. Auf der langen Straße, die zurück nach Walls of Water führte, kam Willa an einem Laden vorbei, der rund um die Uhr geöffnet hatte, dem Gas Me Up. Dieser Ort wurde im Sommer häufig von Collegestudenten frequentiert, weil es hier billiges Bier gab und niemand nach dem Ausweis fragte. Auf dem Parkplatz standen ein paar Autos. Willa gähnte. Einer der Wagen kam ihr bekannt vor, doch anfangs dachte sie, ihre Augen spielten ihr einen Streich.
Nein! Das konnte doch gar nicht sein.
Willa fuhr langsamer, um sich zu vergewissern.
Doch. Es war definitiv Paxton Osgoods weißer BMW Roadster.
Und es war definitiv Paxton, die da gerade aus dem Laden kam.
Was, zum Teufel, hatte sie hier zu suchen? Willa konnte sich nicht vorstellen, dass Paxton wusste, wie es in der Welt nach Mitternacht, und noch viel weniger, wie es auf dieser Seite des Ortes zuging.
Sie fuhr so langsam, dass das Auto hinter ihr hupte. Schließlich lenkte sie ihren Wagen auf den Seitenstreifen und ließ sich überholen.
In diesem Moment sah sie ihren ehemaligen Schulkameraden Robbie Roberts aus dem Laden kommen.
Robbie war nicht unattraktiv, aber sein gutes Aussehen begann bereits zu schwinden. Er war eingebildet, konnte aber auch charmant sein, wenn er wollte. Er trank zu viel und arbeitete immer nur so lange, bis er wieder Arbeitslosengeld kassieren konnte. Willa war zu Ohren gekommen, dass er regelmäßig von seiner Frau vor die Tür gesetzt wurde.
Robbie machte Ärger, doch keinen richtig schlimmen. Er war eher der Loverboy als der Kämpfer. Anders verhielt es sich mit seinen zwei Freunden, den Kerlen, die vor dem Laden herumlungerten. Diese beiden waren ständig auf Krawall gebürstet.
Aus allem, was Willa über Paxton Osgood wusste, schloss sie, dass Paxton sich in jeder Lage behaupten konnte. Paxton brauchte niemanden, der sie beschützte. Von ihr ging eine gewisse Autorität aus. Wenn sie den Mund aufmachte, dann hörten die Leute ihr zu. Dazu kam, dass sie mit ihren hohen Absätzen wahrscheinlich gut eins achtzig maß. Paxton war niemand, mit dem man sich anlegte.
Aber als Willa beobachtete, was nun geschah, erkannte sie, dass Paxton in ihrem roten Sommerkleid und den hochhackigen, mit knallroten Rosen verzierten Sandalen vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben ganz und gar nicht die Situation beherrschte. Es war fast ein Uhr nachts, und sie befand sich vor einem Vierundzwanzig-Stunden-Laden in einem Stadtviertel, in dem man nicht oft Leute wie sie zu Gesicht bekam. Die Männer stellten sich ihr in den Weg. Sie stand nun vor der Tür, beladen mit Tüten, die aussahen, als enthielten sie Weinflaschen und Kartoffelchips. Billiger Wein und Chips? Das war bestimmt nicht Paxtons übliche Kost. Ihre Haare, die gewöhnlich zu einem festen Knoten gebunden waren, hingen ihr zur Hälfte ins Gesicht. Sie schien ein wenig zu schwanken und wirkte seltsam fahrig.
Paxton Osgood war betrunken.
Normalerweise hätte Willa das witzig gefunden und mit Vergnügen zugesehen, wie eine Person, deren ganzes Leben unter dem Motto Perfektion stand und die allein schon durch ihre Existenz bei anderen Frauen ein gewisses Minderwertigkeitsgefühl hervorrief, alkoholisiert die Kontrolle verlor – wenn da nicht die Männer gewesen wären, die sie umringten.
Unter Frauen herrscht ein gewisses universelles Verständnis. Rein instinktiv kennen alle die Angst, unterlegen und hilflos zu sein. Sie pocht in der Brust einer jeden Frau, wenn sie daran denkt, wie sie aus einem Laden trat und verfolgt wurde. Oder wie jemand an ihr Wagenfenster klopfte, während sie an einer roten Ampel wartete – ein Fremder, der sie fragte, ob sie ihn mitnehmen wolle. Jede hat schon einmal etwas zu viel getrunken und es dann nicht mehr
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