Das Wunder von Grauenfels (German Edition)
schreiben?«, fragte sie, und endlich hatte sie wieder ihre warme, helle Stimme und redete nicht mehr so kühl, knapp und gepresst. »Warum lässt du nicht einfach alles auf sich beruhen? Wir tun hier niemandem etwas Böses, alle sind zufrieden – und ab und zu passiert sogar ein Wunder! Warum willst du das zerstören?«
Ruben holte tief Luft und zog Berit auf einen Baumstumpf, etwas abseits vom Erscheinungsrummel. Berit erinnerte sichdunkel, dass sie hier schon mal gesessen hatte. Damals, als sie mit Gina und Barhaupt den richtigen Platz für die Erscheinung ausgesucht hatte.
»Berit, ich will dir nichts kaputtmachen. Aber dies kann nicht ewig so weitergehen, das muss dir doch klar sein. Schau, bis jetzt hat sich nur die Lupe ernsthaft für euch interessiert. Aber ich möchte wetten, vom Stern und vom Spiegel war auch schon jemand da. Spätestens sobald Grauenfels auf Platz eins für sinkende Arbeitslosenzahlen ist, fangen die an, hier massiv zu recherchieren. Und dieser Judas Marco erzählt seine Story doch nicht nur mir. Wenn die Geschichte in ein paar Tagen nicht in der Lupe steht, ruft er eine andere Zeitung an. Er braucht nur ins Büro der Bild zu gehen – was meinst du, was dann erst hier los ist?«
Berit nickte widerstrebend und wehrte sich nicht, als Ruben den Arm um sie legte.
»Sieh es doch einfach mal positiv, Berit! Es ist viel besser, wenn ich diese Story mache als irgendjemand anderes. Diese Geschichte kann man als gigantischen Betrug hinstellen oder als Husarenstück. Als Verrat an den Gebeten der Pilger oder als Schelmenstreich, als geniale Idee zur Belebung der Region. Ich kann die Wunder herausstreichen oder die enttäuschten Hoffnungen. Ich kann von der Liebe eines Bürgermeisters zu seiner Stadt reden oder von den Machtspielen eines skrupellosen Politikers. Ich kann Herberger zitieren … nein, das besser nicht, die Ausdrücke würde mein Chef nicht drucken … oder Schwester Felicitas …«
»Wer ist Schwester Felicitas?«, fragte Berit.
»Eine Ordensschwester, die euch sehr früh enttarnt hat – aber trotzdem mithilft, Pilger zur Quelle zu bringen. Weil sie – und lach jetzt nicht! – weil sie glaubt, dass die Madonna deine Hand führt, wenn du ihre Texte schreibst. Wie Mandy zu sagen pflegt: Ton in des Töpfers Hand.«
Berit lächelte ein bisschen ungläubig. »Na, dann droht mirja wenigstens keine Schreibblockade«, scherzte sie. »Ich kann es dir also nicht ausreden? Du wirst den Bluff aufdecken, auf Teufel komm raus?«
Ruben nickte entschlossen. »Ich hab den Artikel angekündigt. Wenn ich ihn nicht schreibe, schreibt ihn jemand anders. Es tut mir wirklich Leid.«
Berit stand auf, und eine Sekunde befürchtete Ruben, sie würde ihn jetzt einfach stehen lassen und auf Nimmerwiedersehen verschwinden. Sie blieb allerdings stehen und sah beschwörend zu ihm auf. »Also gut. Aber dann bitte ich dich trotzdem noch um eins. Ich würde sogar so weit gehen, dich zu erpressen. Dieses ›Wenn du mich wirklich liebst, dann …‹-Ding, weißt du, das garantiert jede Beziehung kaputtmacht …«
Ruben zog sie an sich. »Das brauchst du gar nicht. Wenn es sich irgendwie machen lässt …«
Berit riss sich los. »Das ist nicht komisch, Ruben, du musst es ernst nehmen. Wenn du es wirklich so gut mit uns allen meinst, wie du sagst: Dann gib uns eine Galgenfrist! Lass es uns auf unsere Art beenden, und lass uns die Mädchen wegbringen. Sie haben ihre Prüfungen beide bestanden – und am ersten September fängt in Paris die Schule an. In New York ein paar Tage später, aber Claudia fliegt ebenfalls am Dreißigsten. Bitte, gib uns so lange Zeit. Lass uns die Mädchen aus der Schusslinie bringen. Wirf sie nicht den Geiern vor!« Berits Stimme klang beschwörend.
Ruben überlegte. »Das sind noch zwei Wochen. Wie viele Erscheinungen?« Er zählte im Geiste die Tage ab, um die er seine Redaktion vertrösten musste.
»Eine. MM soll noch mal alle segnen und sich dann verabschieden. Eine saubere Sache – aber wenn du drauf bestehst, können wir das absagen. Dann kommt sie einfach nicht, basta … Sie …« Ruben beobachtete fasziniert, wie in Berits Gesicht das typische Lächeln aufblitzte, das eine Pointe ankündigte.»Sie verabschiedet sich dann sozusagen auf Französisch …«
Ruben lachte und wagte es, ihr den Pony aus dem Gesicht zu streichen. »Nein, das können wir ihr nicht antun. So unhöflich ist sie nicht. In Ordnung, Berit, eine Erscheinung. Und am dreißigsten August setzt du die
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