Das Wunder von Grauenfels (German Edition)
Mädchen in den Flieger, und alles ist vorbei.«
Berit nickte und ließ ihren Princess-Diana-Blick aufblinken. »Ich danke dir. Und … ich wollte es ja eigentlich nicht … du hast dich wirklich schändlich benommen. Aber trotzdem. Irgendwie … Ich glaub, ich liebe dich!«
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Goodbye, Mary!
A ber du bist auserwählt! Du kannst dich nicht einfach von deinen Aufgaben davonstehlen‹«, zitierte Claudia ihre Mutter, wobei sie deren schrille Stimme perfekt imitierte. »Meine Mom dreht völlig ab«, fügte sie dann in normalem Ton hinzu. »Sie meint, der Himmel stürze ein, wenn ich nicht mehr alle fünf Minuten mit MM rede.«
Die Mädchen waren in Ginas und Berits Büro gekommen, um den letzten Auftritt im Steinbruch zu besprechen und vielleicht noch einmal zu proben. Claudia musste allerdings erst mal Frust ablassen. Seit ihrem Aufenthalt in den Staaten tobte der Streit zwischen Mutter und Tochter noch schlimmer. Frau Martens mochte die Rolle der Seherinnenmutter nicht aufgeben. Sie hatte das inzwischen endgültig zum Vollzeitjob ausgebaut und plante sogar, sich demnächst in einer großen Zeremonie an der Quelle katholisch taufen zu lassen. Noch schwankte sie allerdings zwischen der konservativen Version mit Pfarrer Herberger und der Inszenierung eines kleinen Skandals, indem sie den Taufakt durch eine der frisch in Grauenfels etablierten Theologinnen vornehmen ließ. Außerdem sollte Claudia möglichst mitmachen. Die weigerte sich allerdings standhaft.
»Taufe steht nicht im Vertrag«, erklärte sie Berit und Gina kategorisch. »Man muss ja auch an die Kirchensteuer denken, wenn ich mal reich und berühmt bin!«
Berit lachte. »Sag das bloß nicht deiner Mutter so. Besser erklärst du ihr, die Madonna hätte dich nicht zur Taufe berufen,und sie sollte mal überlegen, ob sie sich nicht aus gutem Grund für eine religiös unabhängige Sprecherin entschieden habe …«
»Was meint denn dein Vater dazu?«, erkundigte sich Gina besorgt. »Er macht doch nicht ebenfalls Schwierigkeiten, oder? Du weißt schon, dass du die elterliche Erlaubnis brauchst, um nach Amerika zu gehen?«
Claudia verdrehte die Augen. »Ich bin doch nicht blöd! Im Zweifelsfall hätte ich mir ’ne kleine Privatoffenbarung einfallen lassen. Dann wäre mir die Jungfrau sozusagen im Traum erschienen und hätte gesagt, ich müsste demnächst in Hollywood für sie wirken. Da wandern sie doch jetzt alle zum Buddhismus ab. Und das können wir unmöglich verantworten!« Sie grinste. »Ist aber gar nicht nötig, mein Dad ist heilfroh, mich loszuwerden. Vielleicht hofft er auch, dass Mama dann wieder normal wird. Als ich von New York erzählt habe, hat er mich nur mit seinem strengen Rektorenblick angeguckt und gesagt ›Deshalb also!‹.«
Als altem SED-Genossen und später anerkanntem Wendehals war Hermann Martens das Prinzip »Eine Hand wäscht die andere« nur zu geläufig.
»Und später hat er noch gemeint, es wäre irgendwie beruhigend zu wissen, dass seine Tochter nicht verrückt ist. Zwischendurch hätte er wirklich an meinem Verstand gezweifelt«, erzählte Claudia vergnügt weiter. »An dem von Mama tut er’s immer noch.«
»Na, da ist er ja nicht allein«, bemerkte Gina. »Irgendwie tut sie mir fast Leid. Für sie stürzt ja eine Welt zusammen.«
»Ach was!« Claudia winkte ab. »Gib ihr drei Wochen, dann tauscht sie ›Meine Tochter ist von himmlischen Mächten auserwählt‹ gegen ›Meine Tochter hat die Aufnahmeprüfung der Highschool of Arts bestanden – auserwählt unter hundertfünfzig anderen Bewerbern‹. Das ist zwar kurzfristig nicht so publicityträchtig, aber doch besser als nichts. Habt ihr die Texte?«
Gina und Berit reichten den Mädchen die Ausdrucke. Sophie nahm sie schweigend mit verklärtem Blick entgegen. Seit sie aus Paris zurück war, schien sie die Erde nur noch zufällig zu berühren. Sie schwebte auf einer Glückswolke, mehr noch als in den kurzen Stunden ihrer Verliebtheit mit Marvin. Vor dem Vortanzen war sie allerdings ein Nervenbündel gewesen. Berit hatte es kaum geschafft, sie in den Tagen vor der Prüfung zum Essen zu bewegen, und wenn sie Schlaf fand, dann nur deshalb, weil sie mit einem Stuhl als Ersatz für die Ballettstange bis zur Erschöpfung trainierte. Die Prüfung selbst war dann gar nicht so schlimm gewesen. Die Schule machte die Aufnahme nur begrenzt von den Vorkenntnissen der Mädchen abhängig. Viel wichtiger war die Vermessung ihrer Körperproportionen und ein Test ihrer Musikalität,
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