Das Wunder von Grauenfels (German Edition)
haben sie ihm einen Platz im Lehrlingsheim gesucht und gestern ist er umgezogen. Irre, was?«
Ruben konnte das nur bestätigen. »Nummer zweiundsiebzig auf eurer Liste erfolgreich vermittelter arbeitsloser Jugendlicher«, meinte er anerkennend zu Berit, als sie den Parkplatz verließen. Der junge Parkwächter wandte sich derweil wieder seiner Arbeit zu.
Berit schnaubte. »Zweiundsiebzig? Das ist mindestens der hundertfünfzigste! Wir zählen gar nicht mehr. Die Jugendarbeitslosigkeit in Grauenfels und Tatenbeck ist inzwischen gleich null. Und bei den Erwachsenen ist es ähnlich. Wer hier arbeiten will, der findet auch was. Wir haben inzwischen eine der niedrigsten Arbeitslosenquoten der gesamten Republik! Einschließlich der alten Bundesländer!« Die Fülle der neu eröffneten Läden und Betriebe in Grauenfels bestätigte ihre Angaben.
Berit und Ruben schlenderten an einer Filiale des Paderborner Devotionalienhändlers vorbei, passierten einen Kiosk, der Getränke und Postkarten feilbot, sowie einen neuen Lebensmittelladen und zwei Floristen. Ruben vermisste allerdings den Stand der Jungen Arbeitslosen, die noch bei seinem letzten Besuch gefüllte Wasserkanister verkauft hatten.
»Die haben das hier nicht mehr nötig«, beantwortete Berit seine Frage. »Eine Mineralwasserfabrik hat ihnen die Rechte am Titel ›Regenbogenquelle‹ abgekauft. Die baut jetzt beim Steinbruch eine Abfüllanlage und schafft damit dreißig Arbeitsplätze. Fragt sich natürlich, wann der Laden wieder dichtmacht, wenn sich keiner mehr für die Erscheinung interessiert. Mineralwasserquellen gibt’s schließlich en masse. «
Auch der Stand der Regenbogenmädchen hatte sich entscheidend gewandelt. Statt der unförmigen Flaschen der Hobbytöpferinnen gab es hier nun formschöne Tonkaraffenund Krüge. Nach wie vor hielt allerdings Mandy die Stellung. Strahlend begrüßte sie Ruben, der als Erstes ihr Outfit bewunderte. Mandy war zu ihrem früheren Stil zurückgekehrt. Sie trug lustige Pippi-Langstrumpf-Zöpfe, den alten Ring durch die Nase und einen Hexen-Sticker auf ihrem Batik-T-Shirt.
»Donnerwetter!«, meinte Ruben. »Habt ihr einen Töpferkurs belegt? Das sieht ja hier richtig professionell aus!«
Mandy nickte strahlend. »Ist es auch. Aber nicht von uns gemacht – die Wandlung hätte ja an ein Wunder gegrenzt. Nö, die Dinger macht eine Frauen- und Lesbeninitiative. Die gehören zu den Typen, die jetzt in der alten LPG sind …«
Ruben schaute Berit fragend an.
»Die alte LPG hat eine Wohngemeinschaft gepachtet«, gab sie Auskunft. »Die erproben da urchristliche Lebensformen und haben wohl auch Fachleute, sonst kriegten sie nicht all die Zuschüsse vom Bund. Jedenfalls wird das jetzt ein Bio-Musterbetrieb mit eigener Käserei, Brotbäckerei, artgerechter Tierhaltung. Auch so eine positive Entwicklung, die du jetzt im Keim ersticken willst.« Berit wandte sich bitter ab.
Mandy quasselte dagegen begeistert weiter. »Jedenfalls kriegen wir von jedem verkauften Pott zehn Prozent ab. Gucken Sie mal!«
Tatsächlich verkündete ein Schild am Stand, dass der Erlös der Töpferwaren zum Teil der Mädcheninitiative »Regenbogen« zugute käme. Über die Info wölbte sich ein bunt gemalter Regenbogen, wobei jede Farbe für eine andere Aktivität der Mädchen stand. Computerkurse, Selbstverteidigung, Café, kreatives Schreiben, Mädchengesprächskreise.
»Wir sollen auch eigene Räume kriegen im neuen Frauenzentrum! Und vielleicht ’ne Sozialpädagogin, die sich nur um uns kümmert«, freute sich Mandy. »Das ziehen diese feministischen Theologinnen auf, oder wie die heißen. Wird geil!«
»Oder auch nicht«, versetzte Berit. »Die Damen machendoch garantiert einen Rückzieher, sobald sie hören, dass die Madonna getürkt war.«
Mandy hatte das mitgehört und grinste. »Im Ernst? Geben Sie das jetzt zu? Cool! Und Claudia geht nach New York, nicht? Echt geil! In der Schule kommen sie um vor Neid. Aber ich gönn’s ihr! Garantiert kriegt sie in ein paar Jahren den Oscar. Verdient hätte sie ihn jetzt schon – ich hätte dieses Theater mit der Jungfrau nicht durchziehen können. Ich wär vor Lachen geplatzt.«
»Claudia geht nach New York?«, erkundigte sich Ruben, als Berit in eisigem Schweigen weiterging. »Tatsächlich auf diese Highschool? Hat sie den Test bestanden?«
Berit nickte mit einem bösen Seitenblick. »Woher weißt du das schon wieder? Ach ja, ich vergaß, dein kleiner Neidhammel Marco … Der brüstet sich übrigens
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