Das Wunder von Treviso
weil sie in den letzten Tagen vor Aufregung kaum noch etwas gegessen hatte; der Bräutigam hatte Angst, dass man ihm die Alkoholfahne vom Abend zuvor noch anmerken könne; die Brautmutter erwartete das Schlimmste, einfach weil das so ihre Art war; der Brautvater verwarf im letzten Moment seine Rede, die er mühsam und über Tage hinweg geschrieben hatte und die er nun so schlecht fand, dass er wohl oder übel beim Essen würde improvisieren müssen; die Brautjungfer geriet in helle Panik, irgendjemand könne erfahren haben, dass sie vor drei Jahren auf der Hochzeit ihrer Freundin Giovanna mit dem Bräutigam geschlafen hatte; und der Pfarrer war mit den Nerven am Ende, weil … ja warum eigentlich? Dem äußeren Anschein nach hatte er keinen Grund dazu, denn dies war, bei aller Liebe, nun wirklich nicht seine erste Hochzeit. Trotzdem waren seine Hände an diesem Morgen schweißnass.
In der Nacht zuvor waren Don Antonio und Salvatore Tarlo am Hintereingang zur Sakristei verabredet gewesen. Um fünf vor elf klopfte Salvatore sanft dreimal von außen gegen die schwere Holztür. Es kam keine Reaktion, woraufhin Salvatore noch etwas heftiger dreimal gegen die Holztür klopfte und wiederum keine Antworterhielt. Da die Tür verschlossen war, ging er um die Kirche herum und versuchte es beim Vordereingang. Die Tür war, ganz gegen die üblichen Gepflogenheiten, verriegelt. Die Brautmutter hatte darauf bestanden, nachdem die Kirche bereits am Nachmittag festlich geschmückt worden war, dass man die Blumenpracht auf diese Weise vor Eindringlingen aller Art schützen sollte. Im letzten Jahr hatte sich ein Hund am Abend vor einer Hochzeit in die Kirche verirrt und gegen eine der hinteren Bänke gepinkelt. Der Gestank hatte die ganze feierliche Zeremonie begleitet.
Bereits etwas entnervt begann Salvatore Tarlo zu rufen: «Pater? Pater, sind Sie da?»
«Pscht, zum Teufel nochmal, sei leise!», zischte Don Antonio, als er just in diesem Moment das Kirchenportal aufschloss. «Warum stehst du nicht hinten?»
«Weil du mir nicht aufgemacht hast!», empörte sich nun gleichfalls Salvatore.
«Wir hatten doch elf Uhr ausgemacht.»
«Ja, und? Es ist elf Uhr.»
«Nein, es ist erst fünf Minuten vor elf.»
«Bin ich ein Uhrwerk?», fragte Salvatore beleidigt.
«Komm endlich herein!», knurrte Don Antonio und schloss so leise wie möglich die Tür hinter seinem Komplizen. Der schleppte wiederum schwer an einem in schwarze Müllsäcke gewickelten Etwas, das er nun behutsam auf einer der Kirchenbänke postieren wollte.
«Nicht da!», zischte der Pater. «Da hat letztes Jahr ein Hund gegen gepinkelt.»
«Und da lässt du deine Schäfchen einfach drauf sitzen?», fragte Salvatore erstaunt.
«Pisse ist gut gegen Rheuma», antwortete der Pater, und der Anflug eines Grinsens umspielte seine Mundwinkel.
«Wohin nun damit?» Salvatore balancierte das schwere Etwas auf seinem Knie und sah den Pater fragend an.
«Am besten gleich in die dafür vorgesehene Nische», sagte der Pater und zeigte auf einen vorderen Winkel im linken Teil des Kirchenschiffs.
Mit einem leichten Stöhnen hievte Salvatore das schwere Stück hoch und hielt es dabei doch so sicher, als wäre es ein Baby. Dagegen hatten Don Antonios Augenlider und Hände mittlerweile nervös zu zucken begonnen. Er fürchtete sich vor dem nächsten Morgen, und es wurde ihm schwindelig bei der Vorstellung, etwas könnte schieflaufen, zum Beispiel, dass die Madonna vorzeitig entdeckt würde. Dann hätte man ganz sicher
ihn
mit dem wundersamen Gegenstand in Verbindung gebracht und schnell seinen Plan durchschaut. Nein, die Madonna musste so wirken, als hätte sie schon immer dort gestanden, bevor sie zum richtigen Zeitpunkt zum Einsatz kam. Und vielleicht wäre ein kleines Stoßgebet an dieser Stelle angebracht gewesen, doch zum ersten Mal in seinem Leben wagte er es nicht, Gott um Hilfe zu bitten. Dieses eine Mal musste er etwas nur mit sich selbst ausmachen.
Der nächste Morgen begann vielversprechend. Die Sonne schien heiß, aber es war nicht allzu drückend, man war guter Dinge, trank schon vor den Feierlichkeiten auf das Wohl des Brautpaares, und die Blumen waren über Nacht nur halb verwelkt, sodass sie noch einigermaßen gut aussahen, man dem Blumenhändler in Castello aber womöglich den halben Preis wieder abziehen konnte, denn der hatte Frische bis zum nächsten Abend garantiert. Und wen störten schon halbverwelkte Blumen, wenn eine Braut so wunderschön war wie diese?
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