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Das Wunder von Treviso

Das Wunder von Treviso

Titel: Das Wunder von Treviso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Falk
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Tizian-Ausstellung in Florenz und sogar dreizehn Sekunden länger als der Beitrag zum Nahostkonflikt.
    Am nächsten Tag waren die wichtigsten Tageszeitungen auf den Zug aufgesprungen und brachten die Meldung von der weinenden Madonna Trevisos, einige sogar auf der Titelseite, wenn auch nur ganz klein. Kurze Zeit später folgten die Wochenblätter und Magazine. Don Antonio gab einige Telefoninterviews und stand dekorativ neben der Madonna, als der Fotograf des örtlichen Kirchenblattes ihn ablichtete. Er hielt den bohrenden Fragen seiner Kollegen aus den umliegenden Gemeinden stand, sogar denen des Bischofs Santini, der bereits zweimal das Wunder der weinenden Madonna aus der Nähe betrachtet hatte. Zwar traute er Don Antonio nicht so ganz über den Weg, freute sich aber aufrichtig, dass sich in seinem Kirchensprengel endlich mal etwas Aufregendes ereignet hatte. Daher versprach er auch, ein positives Gutachten nach Rom zu schicken, denn der Bischof wusste nur zu gut, was dieses Ereignis für eine sterbende Gemeinde wie Treviso bedeuten konnte. War es da wichtig, dass die blutroten Tränen der Madonna in Geruch und Farbe eine gewisse Übereinstimmung mit dem Messwein aufwiesen? Nein, eigentlich nicht. Bischof Santini war ein großzügiger Mann, und er gönnte Treviso seine weinende Madonna von Herzen. Sollte sich doch der Vatikan um die Sache kümmern: Und dessen Mühlen mahlten langsam. Bis dahin hätten die Bewohner Trevisos auf jeden Fall ihren Spaß, dachtesich der Bischof. Und er behielt recht. Die Einwohner Trevisos hatten ihren Spaß. Zunächst jedenfalls   …

3
    «Ich habe ja gehört, dass der Bischof gesagt haben soll, dass wiederum Don Antonio gesagt hat, dass die Madonna schon immer dort gestanden hat, was ja wohl glatt gelogen ist!»
    «Und ich habe gehört, dass der Pater zu seiner Schwester gesagt haben soll, dass die Madonna ein Geschenk Gottes ist, und dass die darauf geantwortet hat, die Madonna ist viel eher ein Machwerk des Teufels. Stellt euch das mal vor, die Schwester des Paters eine Satanistin!»
    «Ich habe aber wiederum gehört, dass Don Antonio gesagt haben soll, dass er Salvatore Tarlo noch etwas schuldet, und ihr wisst ja wohl, was das bedeutet!»
    In redseligem Einverständnis standen drei Frauen vor der Käsetheke in Vitos Supermarkt und berieten sich über die jüngsten Ereignisse in ihrem kleinen Dorf. Und auch wenn jede von ihnen ihre eigene Theorie zum Wunder von Treviso hatte, so waren sie doch alle sehr froh, dass sich damit ein quasi unerschöpfliches Thema in ihre triste Alltagskonversation eingeschlichen hatte.
    Zweifellos musste man der einen von ihnen zugestehen,dass sie mit ihrer Vermutung, Salvatore Tarlo sei in die ganze Sache verwickelt, ein besonders gutes Gespür für die Wahrheit bewiesen hatte. Und es war in der Tat auffällig, wenn dieser Tarlo Don Antonio auf der Straße so ausnehmend herzlich grüßte.
    Vito hörte von alldem nichts, denn er wollte es nicht mehr hören. Seit Tagen war sein Laden Schauplatz ewiger Diskussionen über das Wunder von Treviso. Die Leute dachten sich die wildesten Geschichten aus, um das Phänomen der weinenden Madonna zu erklären. Beispielsweise gab es im Dorf Leute, die ernsthaft behaupteten, dass die blutroten Tränen eine allergische Reaktion der Madonna auf den Blumenschmuck bei der Hochzeit gewesen seien. Es war nicht so, dass Vito die Gerüchte um Don Antonio nicht interessiert hätten, nein, ganz im Gegenteil, sie interessierten ihn sogar sehr, doch nach über einer Woche war er es langsam leid, dass ihn die Menschen zwischen Wurst und Zwieback ständig nach neuen Informationen ausfragten. Als ob er, Vito, Herr der Konservendosen und Waschmittelkartons, jede kleinste Neuigkeit weiterverbreiten würde! Sollte sich doch seine Anna darum kümmern, Tratsch war schließlich ihre Abteilung. Und um seine Nerven zu beruhigen, riss er eine Packung Schokoriegel auf und begann, einen nach dem anderen zu verschlingen.

4
    Am 3.   Oktober erreichten die ersten Pilger Treviso, und das grenzte ebenfalls an ein Wunder, denn bis sie dort eintrafen, hatten sie – dank der Einwohner von Castello della Libertà – bereits eine wahre Odyssee hinter sich.
    Natürlich war man sich im Nachbardorf Trevisos darüber im Klaren, dass mit der weinenden Madonna ein touristisches Konkurrenzprodukt auf dem kargen Markt der regionalen Attraktionen in Erscheinung getreten war und dass sich dies nachteilig auf den örtlichen Mussolini-Tourismus auswirken

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