Das Wunder von Treviso
erklären, das gute Stück zu reparieren, dann wäre ich Ihnen natürlich sehr verbunden. Obgleich ich nicht weiß, was es bringen sollte, ihr den Arm anzukleben und den Rest in seinem jetzigen Zustand zu belassen. Dadurch wird sie auch nicht ansehnlicher.» Doch der Pater hatte nicht mit Salvatore Tarlo gerechnet.
«Aber Pater, das fehlende Stück am Arm wird doch nicht einfach angeklebt! So arbeiten nur Stümper.Nein, man muss sie erst einmal abschleifen und dann versuchen, ein Stück entsprechend anzupassen, danach …» Salvatore Tarlo war in seinem Element. Zum ersten Mal seit Wochen konnte er sich wieder für seine eigentliche Profession begeistern, und etwas von dieser Begeisterung übertrug sich auch auf Don Antonio. Ungefähr eine halbe Stunde lang standen die beiden so fachsimpelnd um den alten Küchentisch herum und besahen sich dabei die blinde Madonna.
«Ach ja», endete Salvatore Tarlo, «es ließe sich so einiges aus der Dame machen – mit einem kleinen Wunder natürlich.» Da wusste der Pater endgültig, was er zu tun hatte.
«Ja, ein kleines Wunder. Sagen Sie, Salvatore, haben Sie zufällig von dem Wunder in den Anden gelesen? Es war eine Notiz in der
Repubblica
.»
«Nein, Pater, ich lese den
Messaggero
.»
«So?»
«Ja.»
«Aha.» Schweigen. Dann fuhr der Pater fort: «Nun, darin stand etwas über ein Wunder, das sich in einem Andendorf ereignet hat. Eine Madonnenstatue hat begonnen zu weinen.»
«Wirklich zu weinen, Pater?»
«Ja, so ist es.»
«Nun», Salvatore machte ein eher abfälliges Geräusch, «so ein Wunder lässt sich leicht herstellen. Glauben Sie mir, Pater, kein Stück Holz fängt von alleine an zu weinen.»
Und so wurde an diesem Nachmittag in der Küche des Pfarrhauses von Treviso ein Wunder geboren.
21
Nachmittags glich Treviso eher einer Geisterstadt als einem lebendigen Ort. Die Rollläden waren heruntergelassen, irgendwo fegte ein Motorino knatternd durch die Straßen, und wer konnte, der ruhte sich in seinem Haus bei einem kühlen Getränk aus und sah sich die halbnackten Mädchen im italienischen Nachmittagsfernsehen an, die lächelnd irgendwelche Schilder vor ihren knappen Bikinis hertrugen. Nur die Touristen wandelten durch die brüllende Hitze und wähnten sich als Entdecker der Schönheiten Italiens.
Die Kinder, die auf dem Campo Fußball spielten, wurden alle halbe Stunde von ihren Müttern ermahnt, doch endlich aus der Sonne zu gehen. Es war die Zeit des Jahres, in der die meisten alten Menschen starben, und dieser Sommer brach alle traurigen Rekorde. Allein in dieser Woche musste der Pater drei Beerdigungen vornehmen: die der dicken Roberta Basini, die an einem schönen, heißen Augustnachmittag von ihrem Stuhl gekippt und nicht wieder aufgestanden war; die von Alberto Largo, bei dem weniger die Hitze als der Alkohol der letzten dreißig Jahre zum Exitus geführt hatte; und zu guter Letzt die Maria Teresa Carlotta VittoriaGiovanellis, die testamentarisch darauf bestanden hatte, dass ihre sämtlichen Vornamen auf dem Grabstein erschienen, und die nach langem Leiden dem Schilddrüsenkrebs erlegen war. Bis auf Maria Teresia waren alle Toten dieses Sommers über fünfundsiebzig Jahre alt geworden.
Ja, er hatte unzweifelhaft seine Schattenseiten, dieser Sommer, und die Stimmung unter den älteren Einwohnern Trevisos hatte in dieser Woche ihren Tiefpunkt erreicht. Da half es auch nichts, wenn die Kinder und Enkelkinder aus dem schönen Sardinien, aus Portugal oder Österreich eine Postkarte sandten und so taten, als dächten sie an einen. Wer Glück hatte, der war nicht allein in diesen Tagen, sondern hatte einen Menschen, mit dem er gemeinsam über die Hitze stöhnen konnte.
Es gab allerdings zwei Bewohner Trevisos, die eine auffällige Geschäftigkeit an den Tag legten, und wäre der Rest des Dörfchens nicht so sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen, dann hätte vielleicht jemand die ungewöhnliche Allianz zwischen Don Antonio und dem Schnitzmeister Salvatore Tarlo bemerkt. Vielleicht hätte jemand wahrgenommen, wie unruhig der Pater dieser Tage wirkte oder wie lange in Salvatores Werkstatt nachts noch die Lichter brannten. Doch in der Hitze fiel keinem der Trevisaner auf, dass in ihrer Mitte ein Ereignis von großer Tragweite seine Schatten vorauszuwerfen begann.
22
Der Morgen der Hochzeit von Luisa und Piero begann, wie alle Hochzeitstage üblicherweise beginnen: mit einem Anflug von Panik. Die Braut befürchtete, ihr Kleid könne nicht sitzen,
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