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Das Wunder von Treviso

Das Wunder von Treviso

Titel: Das Wunder von Treviso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Falk
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der Schwester Don Antonios begegnete – rein zufällig.
    Eine solche Begegnung ereignete sich einige Tage nach dem Wunder. Luigi wartete schon in der Vormittagssonne vor Vitos Geschäft. Sein Friseurladen hatte mittwochmorgens geschlossen, daher konnte er sich mit seinen Besorgungen Zeit lassen. Gerade als er sich fragte,ob sie heute wohl später kommen würde als sonst, sprach ihn jemand überraschend von der Seite an.
    «Guten Morgen, Signore», hörte er Marias Stimme sagen.
    «Guten Morgen», antwortete er, «guten Morgen, Signora!» Es war derselbe Dialog wie schon bei den vorigen siebzehn Begegnungen. Manchmal variierte der Text, und man wünschte sich einen guten Tag, aber ein richtiges Gespräch hatte sich bisher noch nicht ergeben. Luigi spürte, dass jetzt die Gelegenheit da war. Er musste etwas sagen, das über den üblichen Gruß hinausging. Er holte Luft. «Das Wetter   …», sagte er und deutete mit der rechten Hand in den Himmel.
    «Ja», antwortete sie und lächelte. Dann nickte sie ihm kurz zu und verschwand im Laden.
    Immerhin, dachte Luigi, hab ich noch etwas gesagt. Wirklich zufrieden war er mit sich allerdings nicht. Wenn er in dem Tempo weitermachte, brachte er es bis zu seiner Beerdigung eventuell zu einem gemeinsamen Kaffee. Also rührte er sich nicht von der Stelle, harrte weitere zehn Minuten vor Vitos Supermarkt aus und wartete auf eine Eingebung. Die nicht kam. Wer kam, war Maria, die plötzlich wieder vor ihm stand, ihn freundlich anlächelte und ihn schließlich fragte, ob er ihr vielleicht mit den Einkäufen helfen wolle, die seien heute nämlich besonders schwer.
    Luigi schaute sie wortlos an, und einen Moment lang befürchtete sie, ihn verunsichert zu haben. Dann aber griff er beherzt mit der linken Hand nach ihren Plastiktütenund nahm ihr mit der rechten auch noch den Fünf-Liter-Kanister Trinkwasser aus der Hand. Und – er lächelte.
    «Gehen wir!», sagte Luigi.
    «Gehen wir», sagte Maria.

2
    «Das ist unser Ende!», stöhnte Don Antonio. «Ich sehe die apokalyptischen Reiter förmlich auf uns zugaloppieren. Nichts hat so funktioniert wie geplant, und nun ereilt uns unser verdientes Schicksal.»
    «Trink deinen Kaffee. Es läuft alles bestens», entgegnete Salvatore. «Die Leute waren begeistert, die Madonna funktioniert, und hier   …», Salvatore deutete auf ein halbes Dutzend Tageszeitungen, die ausgebreitet auf dem Küchentisch lagen, «ab sofort kennt die ganze Welt Treviso. Fast jede große Zeitung hat etwas über uns gebracht. Ich sage dir, in den nächsten Wochen werden Scharen von Touristen unseren Ort stürmen. Du wirst schon sehen.»
    Don Antonio war sich da ganz und gar nicht sicher. Er hasste es, wenn seine Pläne durchkreuzt wurden. Alles war so perfekt durchdacht gewesen: Man hätte einige Wochen gewartet, um die Leute an den Anblick der Madonna zu gewöhnen, sodass die kleine Veränderung in der Kirche Trevisos niemandem bewusst aufgefallenwäre, und hätte dann in aller Seelenruhe den Mechanismus während einer ganz normalen Sonntagsmesse in Gang gesetzt. So aber hatte ein finnischer Mobilfunkhersteller alles kaputt gemacht. Aus Wut hatte Don Antonio gleich am nächsten Tag ein Schild im Eingangsbereich der Kirche angebracht, auf dem deutlich sichtbar das Telefonieren streng untersagt wurde. Tatsächlich wurde in den folgenden Tagen unter den Einwohnern Trevisos das Schild ebenso heiß diskutiert wie die weinende Madonna. Einen Zusammenhang zwischen beidem stellte jedoch niemand her.
    Salvatore hatte natürlich recht – im Grunde lief alles bestens. Aber Don Antonio war nun mal ein Pessimist. Dank der Anwesenheit eines mit dem Brautpaar befreundeten RA I-Journalisten verbreitete sich die Nachricht des Wunders von Treviso nicht nur besonders schnell, sondern auch besonders weit. Schon einen Tag nach dem Hochzeitsfest stand ein Übertragungswagen der RAI vor dem Pfarrhaus, und man drehte ein kurzes Interview mit einem sichtlich nervösen Don Antonio in dessen frühseptemberlichem Kräutergarten. Maria servierte Wein, Wasser und Käse und hielt sich ansonsten im Hintergrund. Der Pater sagte einige Dinge über das Wunderwirken der Madonna, die Kirche wurde frontal und von der Seite ins Bild gerückt und das Ganze dann am Abend im Fernsehen ausgestrahlt. Zweiunddreißig Sekunden über das Wunder von Treviso – so lange dauerte der Beitrag. Don Antonio hatte es mit seiner alten Stoppuhr gemessen. Das waren vier Sekunden mehr alsüber die Eröffnung der

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