Das Wunder von Treviso
doch für ein Schlitzohr! Maria neigte sich etwas über Salvatores Stand, was der schweren Zucchini-Tüte wegen nicht ganz einfach war, und flüsterte ihm vernehmlich zu: «Ich weiß, Signor Tarlo, ich weiß. Und Sie sind ein wahrer Meister Ihres Fachs!» Dann drehte sie sich um und ging in Richtung Pfarrhaus davon.
Salvatore aber hatte endlich die Bestätigung erhalten, die er brauchte, und weil es ein so schöner Tag war, gab er der Witwe Bossato dreißig Prozent Rabatt auf einen Delphin.
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«Nein, das mache ich nicht! Das Ding hat mir schon meine Hochzeit versaut, da werde ich nicht auch noch Feuerwehr für dich spielen, Onkel. Nein, nein und nochmals nein!» Luisa war gekränkt. Wie konnte ihr Onkel Antonio erwarten, dass sie für ihn als Sekretärin einsprang, wenn doch auf ihrer Hochzeit nicht sie, sondern diese Madonnenfigur alle Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte? Und das bei dem Kleid! Sie hatte es extra nach einem Modell aus dem Brautmagazin
Sposa
schneidern lassen. Nein, das konnte er nicht von ihr erwarten.
«Bitte, Kind, ich weiß mir nicht mehr zu helfen!» Don Antonio war bereit, Luisa zur Not auch auf Knien anzuflehen, nachdem heute Morgen drei Anrufe aus Deutschland gekommen waren, die damit geendet hatten, dass ihn eine pilgerwillige Touristin aus Hessen entnervt durchs Telefon angebrüllt hatte. Seitdem fürchtete sich Don Antonio vor pilgerwilligen Hessinnen.
Luisa konnte das alles wenig überzeugen. Erst als ihr Onkel ihr einen anständigen Stundenlohn für ihre Dienste in Aussicht stellte, ließ sie sich erweichen und nahm von nun an zwischen acht Uhr morgens und vier Uhr nachmittags die Anrufe von Pilgern aus aller Welt entgegen, die nach Treviso reisen wollten, um das Wunder der weinenden Madonna zu bestaunen.
Es war bereits kurz nach Veröffentlichung der ersten Zeitungsartikel losgegangen, als aus den umliegendenDörfern die Menschen den Weg nach Treviso fanden – und das war, wie gesagt, dank der Castellesen gar nicht so einfach. Es gab nur den Bus der Linie 174 von Castello nach Treviso, und wer es wagte, sich Treviso mit dem eigenen Auto zu nähern, musste feststellen, dass es im Ort an Parkplätzen mangelte, denn es gab derer nur drei, und die waren vor Vitos Laden und damit häufig von Lieferfahrzeugen und Vitos Kunden besetzt. Dennoch hatten im Oktober nicht weniger als vierhundertdreiundneunzig Gläubige ihren Weg nach Treviso gefunden, für den darauffolgenden Monat hatten sich schon ganze fünfhundertdreiundzwanzig angemeldet, und der große Ansturm würde wohl erst gegen Weihnachten einsetzen. Bis dahin nutzten die Bürger die Gelegenheit, sich auf die Pilger vorzubereiten.
Es herrschte ganz allgemein eine aufgeregte Stimmung in Treviso, denn jeder erwartete sich etwas vom Wunder der weinenden Madonna. Was genau das war, konnten viele der Einwohner gar nicht sagen, sie ließen sich aber gerne von denen mitreißen, die sich ganz aktiv daranmachten, von der neuen Situation im Ort zu profitieren. Abgesehen von Vito, der sein Ladensortiment erweiterte, und Massimo, der von einer Zukunft als Hotelier träumte, sprangen auch andere auf den fahrenden Zug des Pilgerkapitalismus auf. So führte die schlechte Enoteca seit neuestem einen Wein, dessen Etikett das Bild der weinenden Madonna zeigte und der den ominösen Namen «Tränen der Muttergottes» trug, in Wahrheit aber nichts anderes als einen besonders billigenund säuerlichen Rioja aus Spanien enthielt, den man auf dem Großmarkt im Plastikkanister zu zehn Litern kaufen konnte, und der, in besagte Flaschen umgefüllt, ganze sieben Euro und neunundvierzig Cent kosten sollte.
Der Bürgermeister Mario war ohnehin seit Wochen außer Rand und Band und betrieb Tourismuswerbung für seinen Ort, wo er nur konnte. Das ging so weit, dass er auf eigene Kosten T-Shirts mit der Aufschrift «Komm nach Treviso und weine mit uns!» drucken ließ. Fortan hatten alle Mitarbeiter der Gemeinde, von Marios Sekretärin über die Straßenräumung bis hin zu ihm selbst, täglich in den T-Shirts herumzulaufen. Aufgrund von Bürgermeister Marios nicht geringem Körperumfang handelte er sich damit den Spitznamen «Erstes regierendes Salzfass» ein, da die T-Shirts aus billigem Synthetikstoff waren und der Bürgermeister darin besonders stark schwitzte.
Doch nicht nur die Aussicht auf finanziellen Profit beflügelte die Dorfbewohner, es war vielmehr der Geist von Veränderung, der das Dorf durchströmte, was die einen nervös, die anderen freudig
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