Das Wunder von Treviso
in der Planungsphase des Wunders. Don Antoniolernte sich selbst und alle anderen zu belügen, eine durchaus brauchbare Eigenschaft für einen Pfarrer, der nicht selten Trost auszusprechen hatte, wo es eigentlich keinen mehr gab, und der Segen erteilte, wo es vielleicht nicht immer gerechtfertigt war.
Heute war wieder einmal ein guter Tag, denn die Kirche würde zum Bersten voll sein. Im Publikum würden zwei Busladungen von niederländischen Pilgern der katholischen Gemeinde Rotterdam sitzen, und Don Antonio war sehr stolz darauf, «Willkommen in unserer Gemeinde» in mittlerweile sieben Sprachen aufsagen zu können, nämlich in Deutsch, Englisch, Spanisch, Griechisch, Rumänisch, Polnisch und eben Niederländisch. An seinem Französisch feilte er noch, und seit ein paar Tagen übte er den Satz auch auf Kroatisch, denn für übernächste Woche hatte sich eine kroatische Pilgergruppe angekündigt. Alles andere, also Korrespondenz, Organisation, Planung und Betreuung der Pilger, erledigte seine Nichte Luisa, deren Sekretärinnenjob mittlerweile in eine Vollzeitstelle umgewandelt worden war und die daneben auch noch Führungen durch die Ortschaft veranstaltete, einschließlich einer zehnminütigen Besichtigung der Römerstraße Trevisos. Nach anfänglicher Skepsis wusste Luisa allmählich die Vorteile einer festen Anstellung zu schätzen und betrachtete ihr Gehalt als Entschädigung für die missglückte Hochzeit.
Don Antonio konnte also durchaus zufrieden mit sich sein, und wie er sich so in seiner gutgeschnittenen, funkelnagelneuenSoutane im Spiegel betrachtete, huschte ein selbstzufriedenes Lächeln über sein Gesicht. Er verließ das Pfarrhaus, um seines Amtes zu walten. Doch noch während er die von Salvatore gerichtete Eingangstür abschloss, fuhr der Postbote auf dem Hof vor und überreichte dem Pater einen Brief. Binnen Sekunden verwandelte sich der gutgelaunte Pater in ein nervliches Wrack. Und das lag am Absender.
2
Das Geschäft ging blendend. Vito konnte sich nicht daran erinnern, in den vergangenen dreiundzwanzig Jahren, seit er den Laden von seinem Vater übernommen hatte, einen so guten Umsatz gemacht zu haben. Doch nicht nur die üblichen Lebensmittel gingen dieser Tage besonders gut, es waren vor allem die kleinen Madonnenstatuen und Postkarten, die einen reißenden Absatz fanden. Tatsächlich musste Vito zweimal nachbestellen und wartete nun ungeduldig auf die nächste Lieferung aus Taiwan. Zudem hatte er sich noch verkaufsfördernde Mittel überlegt – ein etwas freundlicheres Licht in Gestalt diverser Lichterketten, die er rund um die Kasse herum drapiert hatte, sowie eine ausgesuchte Hintergrundmusik –, von deren positiver Wirkung er bereits überzeugt war.
Vito war kein Kunstkenner, das bewies schon seineAuswahl an Kalendern, die er vor kurzem um je zwei Sorten mit Madonnen- und Engelsmotiven erweitert hatte, doch er liebte Musik. Nicht, dass er sich tatsächlich mit Opern auskannte, aber in seinem C D-Regal fanden sich einige Aufnahmen großer Tenöre, darunter selbstverständlich auch Pavarotti, der ihn mit «Una furtiva lacrima» jedes Mal sprichwörtlich zu Tränen rührte. Und genau das war es, was Vito bei seinen Kunden erreichen wollte: sie zu Tränen rühren. Denn wer bereit war, zur weinenden Madonna von Treviso zu pilgern, für den war diese Arie wie geschaffen. Deshalb spielte er Donizetti etwa alle zehn Minuten und erhoffte sich damit eine zusätzliche Umsatzsteigerung.
Den ersten Tag fanden das die Kunden – und das waren ja nicht nur die vielen Pilger, sondern auch die Einheimischen – durchaus anregend, und keiner der Bewohner Trevisos konnte sich daran erinnern, dass bei Vito jemals Opernarien gespielt worden wären. Jeder, der länger als zehn Minuten im Geschäft blieb, stellte allerdings erstaunt fest, dass es sich immer um die gleiche Arie handelte. Am zweiten Tag reagierten die Kunden dann schon etwas genervt, am dritten Tag erklärten sie Vito für schwachsinnig. Wer darüber hinaus auch die nächsten Tage Vitos Supermarkt betrat, der hatte resigniert, und es kam tatsächlich vor, dass nach acht Tagen der immer wiederkehrenden Beschallung mit «Una furtiva lacrima» die Melodie ihre Runde durch das Dorf machte. Signora Bossato summte sie beim Blumengießen, Luigis Kundinnen sangen sie leise unterder Trockenhaube, und selbst Don Antonio brummelte sie vor sich hin, wenn er seine Predigten vorbereitete.
Vito spielte immer die gleiche Aufnahme, und sosehr er auch
Weitere Kostenlose Bücher