Das Wunder von Treviso
hatte er mit «Es sind Pilger! Die wollen das so!» quittiert.
Wenn die Touristen also bei Massimo essen, trinken und schlafen würden, dann könnten sie doch bei Vito neben Kaugummis, Wasserflaschen, Taschentüchern und Keksen natürlich auch Andenken erwerben. Nun hatte man schon eine weinende Madonna – dann sollte die sich doch auch irgendwie vermarkten lassen! Vito ließ ein weiteres Verkaufsregal aus Castello kommen, das er im Laden gleich neben der Kasse aufstellte und mit Plastikmadonnen, ewigen Lichtern, hölzernen Kruzifixen und bunten Glasphiolen für die Tränen der Madonna füllte. Seine größte Sorge war nur, was Anna dazu sagen würde. Aber seine Frau überraschte ihn mit einem kurzen Achselzucken und dem Kommentar, dass er wohl doch nicht so dumm sei, wie man manchmal annehmen könne, und dass das alles in allem wohl eine vernünftige Investition gewesen sei. Damit hatten die Plastikmadonnen ihren Segen erhalten und glitzerten nun in Blau, Gold und Weiß, das Stück zu drei Euro fünfzig, aus dem neuen Regal des örtlichen Supermarktes von Treviso.
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Wann würde sie wohl abreisen? Don Antonio beschäftigte diese Frage schon seit geraumer Zeit. Gewiss, siewar seine Schwester, und er hatte sie gern, auf seine Weise … Aber sieben Wochen und drei Tage waren doch nun wirklich zu lang für einen Besuch. Da begriff Don Antonio plötzlich, dass Maria ihre Abreise nicht nur immer wieder hinauszögerte und dafür die fadenscheinigsten Vorwände fand («Du isst zu ungesund – ich koch dir mal was Anständiges!»), sondern dass sie vielmehr beabsichtigte zu bleiben. Für immer. Dagegen konnte er rein gar nichts unternehmen, und wenn er darüber nachdachte, dann war es ihm insgeheim sogar ganz recht, nicht mehr allein zu sein.
Seit Rosa ihm nicht mehr den Haushalt führte, war er mit der Pfarrei reichlich überfordert, und im Grunde war es doch sehr schön, jemanden bei sich zu haben, mit dem man am Abend zusammen die Nachrichten sehen, Karten spielen oder einen späten Abendspaziergang unternehmen konnte. Natürlich hatte er auch von den Gerüchten um Luigi, den Friseur, und seine Schwester gehört. Was ihn daran am meisten verwunderte, war die Tatsache, dass es ihn so überhaupt nicht störte. Er mochte Luigi, und Maria könnte es schlechter treffen, als in dem friedliebenden Friseur Trevisos eine späte Liebe zu finden.
All das dachte Don Antonio an diesem Oktoberabend, und er fühlte, wie sich sein Inneres vor lauter Großmut zu weiten begann. Ja, er würde seiner Schwester sagen, dass sie auch für längere Zeit in seinem Heim willkommen sei und dass er nichts dagegen habe, wenn sie weiter für ihn koche, putze und einkaufe. Und erwürde ihr sagen, dass er auch nichts gegen eine Liaison mit dem Friseur habe.
Als Maria am späten Nachmittag nach Hause kam, eine Plastiktasche mit Gemüse, Brot und Olivenöl in der Hand, stand ihr im Hausflur unvermittelt ihr Bruder gegenüber, der ihr in grobem Tonfall mitteilte, sie solle um Himmels willen bleiben, wenn sie das denn unbedingt wolle, er ertrage sie schon noch länger, und was zur Hölle denn das ganze Gemüse solle, er sei doch kein Kaninchen. Und überhaupt, was denke sie sich eigentlich dabei, in der Öffentlichkeit so herumzupoussieren, sie sei doch keine sechzehn mehr.
Maria stellte in aller Seelenruhe ihre Taschen ab, blickte ihren Bruder an und sagte: «Danke, mein Tag war auch schön. Es gibt heute Fenchelgemüse. Und wie geht es dir?» Don Antonio antwortete, es gehe ihm blendend, und Fenchelgemüse sei seine Leibspeise. Dann klingelte das Telefon, und er musste einer norwegischen Reisegruppe erklären, dass Treviso keinen Bahnhof hatte, auch wenn die Trenitalia etwas anderes behauptete, und er fragte sich, wann die bei der Bahn wohl endlich auf die Idee kämen, dass es in Italien mehrere Orte mit dem Namen Treviso gab.
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Natürlich war sie keine sechzehn mehr. Es war nicht notwendig, sie daran zu erinnern. Insgeheim ärgerte sich Maria aber über den Ausspruch ihres Bruders, denn sie fühlte sich bei etwas ertappt, das doch im Grunde etwas Wunderbares war. Sie war dreiundsechzig Jahre alt, trug gern bequeme Röcke in dunklen Tönen und bunte Blusen, ihre Haarfarbe hatte sich bei Mausgraubraun eingependelt, und weil sie Venenprobleme hatte, trug sie immer Stützstrümpfe. Aber sie lachte gern und oft. Sie trank auch hin und wieder ein paar Gläser, was sie sehr genoss. Und sie unterhielt sich gern mit anderen Menschen. Maria mochte es
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