Das Wunder von Treviso
von der verkaufsfördernden Wirkung der Arie überzeugt war, so sehr ging ihm Donizetti mittlerweile selbst auf die Nerven. Dann kam die Rettung in Form eines österreichischen Hofrats, der sich, selbst ein großer Opernfan, sehr begeistert von Vitos Geschäftsidee zeigte und diesem eine Aufnahme derselben Arie in deutscher Sprache überließ. Vito war skeptisch, denn er hatte noch nie zuvor von Fritz Wunderlich gehört, doch der Hofrat versicherte ihm, dass er ein hervorragender Sänger gewesen sei und dass Pavarotti ihn als eines seiner musikalischen Vorbilder gepriesen habe. Da der große Pavarotti somit Fritz Wunderlich persönlich seinen Segen gegeben hatte, wollte sich Vito ihm auch nicht verweigern.
Wenn also zukünftig eine deutschsprachige Reisegruppe das Geschäft betrat, legte Vito statt der Pavarotti-CD Fritz Wunderlich auf, und siehe da – es bewirkte eine dreiundzwanzigprozentige Umsatzsteigerung bei Deutschen und noch immerhin eine achtzehnprozentige bei österreichischen Kunden, und das, obwohl in der deutschen Übersetzung aus der Träne ein schlichter Seufzer geworden war.
Darüber hinaus hatte Vito zumindest in Form der Sprache eine kleine Abwechslung in sein Repertoire gebracht, und fortan hielt Vito Ausschau nach Aufnahmen von «Una furtiva lacrima» in allen bekannten Idiomen und erwarb sie unter anderem auf Französisch,Slowakisch und Schwedisch. Er machte sich einen regelrechten Sport daraus, beim Eintritt seiner Kunden ihre Landessprache zu erraten, um dann die passende Arienaufnahme abzuspielen, und freute sich an seinem Geburtstag wie ein Kind über eine CD, die ihm sein Sohn überreichte und auf der «Una furtiva lacrima» in nicht weniger als vierzehn Sprachen gebrannt war.
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Neben seinem Kunsthandwerkerstand auf dem Markt von Treviso und gelegentlichen Aufträgen als Schreiner oder Tischler übte Salvatore Tarlo auch noch einige andere Tätigkeiten aus. So war er Vorsitzender des Vereins zur Erhaltung der Römerstraße Trevisos, einziger, amtlich geprüfter Imker des Ortes, arbeitete gelegentlich an der örtlichen Grundschule als Aushilfslehrer im Werkunterricht und betätigte sich zudem als Ferienvertretung bei der Post.
In dieser Funktion fiel es Salvatore vom 2. bis 27. November zu, die Post für ganz Treviso zu sortieren, und es entging ihm nicht, dass Don Antonio in der letzten Zeit auffällig häufig Briefe aus dem Vatikan erhielt. Des Weiteren war ihm nicht entgangen, dass diese Briefe immer öfter Vermerke wie «dringend», «sehr dringend» oder gar «außerordentlich dringend!» trugen. Nachdem er bereits den fünften Brief mit einem solchen Vermerkins Fach des Pfarrhauses einsortiert hatte, riss ihm der Geduldsfaden, und er schwang sich noch am selben Nachmittag auf seine Vespa und stattete Don Antonio einen überraschenden Besuch ab. Ganz gegen seine Gewohnheit kam Salvatore recht schnell zur Sache.
«Was sind das für Briefe in letzter Zeit? Ich meine: Der Vatikan? Was will der Vatikan von dir?»
Der Ausdruck in Don Antonios Augen gab Salvatore Tarlo recht: Es war etwas im Busch, und da er als gläubiger Atheist davon überzeugt war, dass aus Rom noch nie etwas Gutes gekommen war, war nun auch Salvatore Tarlo beunruhigt.
Don Antonio ging zu seinem Schreibtisch und zog aus der Schublade einen kleinen Stapel Briefe hervor. Wortlos reichte er sie an Salvatore weiter. Als dieser mit dem Lesen fertig war, blieb ihm nur noch eines zu sagen: «Heilige Scheiße!» Und da konnte ihm Don Antonio ausnahmsweise mal nur zustimmen.
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Auch in Castello della Libertà machte man sich weiter Gedanken über die unliebsamen Geschehnisse im Nachbardorf. Wie sollte man den Strom der Sakraltouristen nach Treviso nur abschneiden, wenn nicht einmal die zeitweilige Straßensperrung ausreichte, um die Pilger auf Dauer von der weinenden Madonna fernzuhalten?Aber vielleicht musste man sie gar nicht fernhalten, vielleicht musste man sie nur davon überzeugen, dass auch Castello della Libertà seine Vorzüge besaß?
In einer ungewöhnlichen Mission machten sich am 28. November der Bürgermeister von Castello, Emmanuele Benito Longhi, und einige Mitglieder seines Gemeinderats auf den Weg nach Treviso zum Bürgermeister Mario Fratelli. Der war gerade dabei, sein drittes Frühstück einzunehmen, bestehend aus einem Caffè Coretto, angereichert mit einem riesigen Glas Grappa, und einigen Keksen, und er war gelinde gesagt überrascht von dem unerwarteten Besuch seines Amtskollegen.
«Was
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