Das Wunder von Treviso
wenn er seine Predigten genau auf diesen einen Moment abstimmte und die Pilger dann beim Anblick der weinenden Holzfigur vor Staunen fast aus den Kirchenbänken purzelten.
Don Antonio stellte die mit Wein halb gefüllte Schale weg, griff die Madonna an ihren Hüften und hob sie behutsam aus der Nische heraus. «Madonna, bist du aber ein schweres Mädchen!», stöhnte der Pater. Dann war Eile geboten. Er wickelte seinen Schatz in eine Decke ein und trug ihn durch den Hintereingang hinaus. In der Krypta wollte er die Statue nicht lassen, obwohl das ein sicheres Versteck gewesen wäre, aber man wusste ja nie, auf welche Ideen die Leute kamen, und immerhin lagerte dort schon der Koffer dieser zerstreuten Schottin. Also schaffte er die Madonna so unauffälligwie möglich in den Schuppen von Ernesto Brasini, dessen Gärtnereigründe mit zwei kleinen Gewächshäusern an das Pfarrgrundstück anschlossen.
Der Schuppen war seit Jahren nicht mehr benutzt worden, und Don Antonio fühlte sich einfach sicherer bei dem Gedanken, dass er die Statue nicht auf eigenem Grund und Boden versteckte. Er verstaute sie mit Hilfe einer Taschenlampe im hintersten Teil des modrigen Gärtnerhäuschens, zwischen alten Farbeimern und zerbrochenen Harken, gut geschützt durch eine wasserfeste Plane, die er extra bereitgelegt hatte. Dann ging er zurück in die Kirche, legte leise und behutsam zwei Kirchenbänke um, verteilte einige Gesangbücher im Raum, drapierte die Lüster quer überm Altar und hoffte, dass es nun nach einem Raubüberfall oder zumindest nach einem Akt des Vandalismus aussehen würde. Dann lehnte er die hintere Kirchentür möglichst unauffällig an und begab sich zu Bett.
11
Das neue Jahr begann ungewöhnlich ruhig. Die Pilger, die über die Feiertage nach Treviso gekommen waren, hatten sich nach dem Besuch der Silvestermesse, die ausnahmsweise nicht um Mitternacht, sondern bereits um neun Uhr abends stattgefunden hatte, mehr den irdischen als den heiligen Dingen gewidmet, dennschließlich hatten auch sie ein Recht darauf, sich am letzten Tag des Jahres mal so richtig volllaufen zu lassen. Also betranken sich Deutsche, Franzosen und Polen hemmungslos, während es die Einwohner Trevisos eher gemütlich angehen ließen und Oma, Tante, Onkel und Cousins zu sich nach Hause einluden, kochten, aßen und sich nach dem Feuerwerk, das Massimo und sein Sohn um Mitternacht über dem Platz vor der Trattoria losließen, in ihre Betten plumpsen ließen. Glückliches neues Jahr!
Gegen halb drei waren auch die letzten Pilger in ihre Unterkünfte getorkelt, und der Ort gehörte an dieser frostkalten Silvesternacht einem unauffälligen Liebespaar, das sich auf der alten, rostigen Gartenbank im Seiteneingang des Pfarrhauses herumdrückte, Hand in Hand zu den Sternen blickend.
«Ist dir auch wirklich nicht kalt?», fragte Luigi besorgt.
«Nein, mir geht es gut», versicherte Maria. Sie hatte sich in eine warme Decke gehüllt und schmiegte sich eng an ihren Begleiter.
«Ganz sicher?»
«Also mir ist nicht kalt, aber wenn dir kalt ist, sollten wir vielleicht hineingehen», sagte Maria. Luigi schüttelte den Kopf, was sie zwar nicht sehen, aber immerhin spüren konnte, so heftig verneinte er, dass ihm kalt sei, obwohl seine Zähne klapperten. Dann nahm er wieder ihre Hand in seine, und sie blickten erneut zu den Sternen auf.
«Klapperst du mit den Zähnen?», fragte Maria.
«Nnnneinnn», antwortete Luigi.
«Wir sollten doch reingehen.» Maria war gerade im Begriff aufzustehen, als sie noch ein anderes Geräusch wahrnahm. Es hörte sich so an, als ob jemand etwas Schweres über ein paar Dielenbretter zöge. Dann nahmen die zwei einen Lichtschein im alten Holzschuppen von Ernesto Brasini wahr, und wäre Don Antonio in diesem Augenblick nicht mit dem Fuß gegen eine alte Harke getreten und hätte ein schmerzhaftes «Hölle nochmal!» von sich gegeben, dann hätten sie sich wohl zu Tode erschrocken. So aber fing Maria leise an zu kichern.
«Was hat er bloß in dem alten Schuppen zu suchen?»
«Wer denn?», fragte Luigi.
«Mein irrsinniger Bruder. Was hat er nun schon wieder vor?»
Luigi kratzte sich am Kopf. Was tat ein Pfarrer nachts um drei, noch dazu an Silvester, in einem fremden Schuppen?
«Vielleicht sucht er dort etwas?», fragte Luigi vorsichtig.
«Ach was, der hat da nichts zu suchen, der versteckt sicher etwas. Den Koffer von dieser Schottin habe ich gestern erst in der Krypta entdeckt. Weiß der Himmel, warum er ihn da verstaut
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