Das Wunder von Treviso
letzten Nacht informiert wurde, denn um die Pilger zu versorgen, sperrte Vito ab zehn Uhr dreißig auch an Feiertagen seinen Laden auf, und ab diesem Zeitpunkt gab es kein Halten mehr. Jetzt wusste es das ganze Dorf: Erst stahl man den Koffer dieser Schottin und nun die Madonna. Was war das doch für eine schlechte Welt!
Die Messe fiel selbstverständlich aus, stattdessen inspizierten der Bürgermeister, der Polizist Stefano Strozzi und natürlich Don Antonio die Kirche. Sie besahen sich die umgestürzten Bänke, die verstreuten Gesangbücher und die querliegenden Altarlüster, die leere Nische, in der kürzlich noch die weinende Madonna von Treviso gestanden hatte, und zu guter Letzt den Opferstock. Und da merkte Don Antonio, dass er einen Fehler gemacht hatte.
«Sieh mal einer an», sagte Stefano Strozzi, «der Opferstock ist ja noch ganz voll. Die haben nicht mal die Münzen mitgehen lassen. Seltsam, überaus seltsam.»
Don Antonio dachte nach. «Nun, Signor Strozzi, der Opferstock ist schwer, und sie mussten ja schon die Madonna …» Zum Glück war Stefano Strozzi nicht der Hellste, dachte Don Antonio. Dennoch gab der Polizist sich nicht gleich zufrieden.
«Trotzdem finde ich es irgendwie merkwürdig», wandte er ein, «dass die Einbrecher die goldenen Altarlüsterund auch den Opferstock dagelassen, aber dafür eine im Grunde wertlose Madonnenstatue mitgenommen haben. Das macht im Falle eines normalen Diebstahls keinen Sinn. Nein, Pater, die haben anderes vor. Es würde mich nicht wundern, wenn sie die Madonna entführt hätten, um ein Lösegeld erpressen zu können. Ich habe da mal von einem Fall in Florenz gehört …» Nun schaltete sich der Bürgermeister ein.
«Signor Strozzi, ich halte Ihre These doch eher für unwahrscheinlich. In Treviso ist noch nie jemand entführt worden.»
«Ja, aber das heißt nicht, dass es nicht trotzdem mal passieren kann!», warf Don Antonio ein. Er konnte plötzlich nur mit Mühe seine Begeisterung über Stefano Strozzis wilde Entführungsphantasien verbergen. Eigentlich konnte ihm gar nichts Besseres passieren.
«Wir werden sehen», sagte der Polizist. «Falls sich die Entführer bei Ihnen melden, Pater, dann geben Sie uns bitte sofort Bescheid. Und jetzt schaue ich mir noch einmal die Tür an, durch die die Entführer eingedrungen sind.» Und damit besah Stefano Strozzi mit Kennerblick die völlig unversehrte Hintertür der Kirche, um anschließend zu verkünden, dass der oder die Einbrecher besonders geschickt vorgegangen sein müssten, denn er könne keinerlei Kratzer am Türschloss erkennen. «Wir haben es hier zweifellos mit Profis zu tun.»
Don Antonio bemühte sich, besonders erschüttert auszusehen, und spürte plötzlich in seiner rechten Manteltasche den Schlüssel, den er gestern zum Entriegelnbesagter Tür gebraucht und den er vergessen hatte, wieder ans Schlüsselbrett zu hängen.
13
Als der Bürgermeister und der Polizist gegangen waren, wartete Don Antonio noch ein paar Minuten und ging dann hinunter in die Krypta. Er brauchte etwas Zuspruch. Doch Don Ignazio empfing ihn mit einem höhnischen Gelächter.
«Du glaubst doch nicht, dass du damit durchkommst! Die werden diese lächerliche Entführungstheorie in ein paar Stunden wieder verwerfen, und dann bist du dran!»
«Ich weiß wirklich nicht, warum du so boshaft kicherst, alter Mann! Mit der Version sind wir doch alle aus dem Schneider. Die Madonna ist erst einmal aus dem Weg, der vatikanische Schnüffler kann uns nichts nachweisen, und dem Ort geht es zurzeit besser als je zuvor!» Don Antonio war im Grunde mit sich zufrieden, nur hätte er gerne noch einmal von jemand anderem gehört, dass er alles richtig gemacht hatte.
«Aber gleich entführt?» Don Ignazio wackelte mit dem Kopf. «Na, ich weiß ja nicht …»
Don Antonio hatte sich auf einen alten Sarkophag fallen lassen und sah sich im Raum um. Irgendetwas war heute anders. Dann durchfuhr es ihn wie ein Blitz.
«Wo ist der Koffer?»
«Welcher Koffer?», fragte Don Ignazio.
«Der Koffer von dieser schottischen Kuh. Wo ist der?» Don Antonio war sich ganz sicher, dass er ihn dort hinten in die Ecke gestellt und zugedeckt hatte. Jetzt war der Platz leer.
«Ach der», sagte Don Ignazio gelassen, «den hat deine Schwester heute in aller Herrgottsfrühe mitgenommen, wahrscheinlich um ihn anderswo unterzubringen. Die Ecke da drüben ist ja nun wirklich kein so tolles Versteck, da würde sogar der dämliche Strozzi draufkommen, wenn er
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