Das Wunder von Treviso
überzeugen, dennwenn nicht, dann wäre es mit der Seelenruhe für immer vorbei.
7
Sie liebte seinen Duft. Noch nie, so empfand sie es, hatte ein Mann in ihrer Nähe so gut gerochen. Als Friseur besaß Luigi schon berufsbedingt ein Händchen für die richtige Pflege, aber Maria war sich ganz sicher, dass sie sich allein aufgrund seines natürlichen Aromas in ihn verliebt hatte. Luigi duftete nach Meer, was ihn, hätte sie es ihm verraten, sicher sehr gewundert hätte, denn sie konnte nicht wissen, dass er nicht in Treviso, sondern in der Umgebung von Neapel geboren worden war. Er hatte es ihr nie gesagt, denn was spielte es schon für eine Rolle, war Luigi doch bereits im Alter von achtzehn Jahren als Wanderarbeiter nach Treviso gezogen. Im Übrigen hörte man es ihm auch nicht an, dass er aus dem Süden kam, denn er hatte nicht mal einen Akzent. Doch das Meer war bei ihm geblieben, und Maria liebte es, wenn er sie beim Abschied auf die Wangen küsste und sie, nachdem man sich längst für den Abend adieu gesagt hatte, noch ein Stück weit seinen Duft an sich trug, ganz so wie seine Stimme in ihren Ohren nachhallte, die weder auffallend noch besonders tief und schon gar nicht musikalisch war, aber sie verriet Luigis sanfte Seele, und damit klang sie für Maria nach Wärmeund innerer Freude und war Grund genug, um sich noch mehr über ihre Verbindung zu freuen. Sie war verliebt, kein Zweifel, und sie genoss dieses Gefühl von Tag zu Tag mehr.
Aber da war auch noch etwas anderes, etwas längst Begrabenes, das sich nach Begierde anfühlte und Maria eine Ahnung davon verlieh, wie es hätte sein sollen, wäre ihr Mann damals nicht gestorben. Dies noch einmal zu spüren, war unglaublich, und sie berauschte sich an dem Gefühl. Alles Alltägliche begann dagegen in den Hintergrund zu rücken: Ihr stets nörgelnder Bruder Antonio, die Weihnachtsvorbereitungen im Pfarrhaus, die er wie selbstverständlich seiner Schwester überließ und zu denen auch die Organisation eines Seniorenkaffees für fünfundfünfzig Personen sowie die Proben für das Krippenspiel zählten, und nicht zuletzt der Haushalt – all das konnte Maria nichts mehr anhaben. Sie war glücklich, zum ersten Mal seit … sie konnte sich nicht erinnern. Sie war es einfach.
8
Da Don Antonio bisher nichts unternommen hatte, um sein Seelenheil zu retten, erfreute sich Treviso nach wie vor eines erstaunlich hohen Zuwachses an Touristen. Das war erfreulich.
Viele der Pilger kamen aus den angrenzenden NachbarstaatenItaliens und nicht wenige aus etwas weiter entfernten Landstrichen. Sieger in der Kategorie «Am weitesten gepilgert» war der kolumbianische Ex-Olympiasieger von 1968 im Vierhundert-Meter-Hürdenlauf der Männer, Carlos Fuego. Die «Älteste Pilgerin», die achtundneunzigjährige Anna Maria Rosa Conti, kam dagegen gleich aus Castello della Libertà. «Am längsten geblieben» war eine Touristengruppe junger Pilger aus Barcelona, deren Abreise nach ganzen neun Tagen beinahe zum Event geriet, da man sich in Treviso offen darüber freute, nun endlich auch mal eine Nacht durchschlafen zu können, ohne um drei Uhr morgens von einer Horde «Kumbaya» singender Spanier geweckt zu werden. In der Sparte «Nörgelnde Pilger» gewann eine gewisse Frau Martha M. aus Sindelfingen, deren kreischende Altfrauenstimme Massimo in Rage versetzt hatte, als sie starke Kritik an der ihr vorgesetzten Portion Pasta al pomodoro übte, die sie für viel zu klein erachtete.
Und zu guter Letzt hatten die Männer des Ortes noch die erst neunzehnjährige Finnin Tarja aus Nokia in der Kategorie «Schönste Pilgerin» zur Siegerin gekürt. Tarja nahm die Auszeichnung unbeeindruckt zur Kenntnis, zumal sie sich nicht als Pilgerin fühlte, denn erstens war sie nicht katholisch, und zweitens hatte sie sich eher zufällig nach Treviso verirrt, weil sie auf ihrer Interrailtour zwei pilgernden Spaniern in Madrid begegnet war, mit denen zusammen sie nun schon seit drei Wochen durch Europa zog und in die sie sich kurz hintereinander verliebthatte. Es waren zwei Medizinstudenten aus Valencia, Pedro und Juan José, die noch dreißig Jahre später von ihrer jeweiligen Liebesaffäre mit Tarja schwärmen sollten, während Tarja die beiden schon bald wieder vergessen würde.
Alles in allem lief es sehr gut für Treviso, seine Bewohner und die Pilger, und nur Don Antonio wusste, dass dieser paradiesische Zustand am 20. Januar enden könnte, an dem Tag, an dem der vatikanische Abgesandte
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