Das wunderbarliche Vogel-Nest
Summa Summarum / es war überall sonst nichts als die Armut zu sehen / derowegen suchte ich meinen übrigen Gulden Thaler vollends hervor / legte ihn vor das Schlaffgeld auff den Tisch / und gieng hin ein angenehmer Ort vor mich zu suchen.
Unterwegs und dieweil ich so gar allein gieng / betrachtete ich wie unterschiedlich wir Menschen auff dieser Welt untereinander lebten! und konte doch die Herkunfft und Ursach eines so grossen Unterscheids nicht ersinnen; Als ich aber bedachte / daß die Reiche eben so hefftig wider die Hoffart und allerhand leibliche Wollüste: als die Arme wieder die Ungedult und Begierd / auch etwas zu haben / zu streiten Ursach hätten; hielte ich darvor / GOTT schicke es also / damit Er den Reichen umb seiner Demut und Gutthätigkeit: den Armen aber umb seiner Gedult und Zufriedenheit willen krönen möchte; dafern sich aber beyde Theil dessen in diesem zeitlichen Leben würdig gemacht hätten: So muste ich mich auch darüber verwundern / daß ich den vorigen Tag die reiche Dame erschröckt und geänstigt: die arme Leut aber erfreuet und getröstet: da mich jene ohn Zweiffel für einen bösen Geist: diese aber vor einen H. Engel gehalten / ich grübelte der Ursach nach warumb doch die Menschliche Urtheil gemeiniglich so betrüglich wären? und hielte darvor / daß weil die blinde Urtheil oder der Menschen Wahn / nach der Beschaffenheit deß innerlichen Gemüths passionirt en Affect en geschöpfft würden / daß sie deßwegen selten eintreffen könnten; dann jener Damen hat ohn Zweiffel ihr Wissen und Gewissen gesagt / daß sie eine sündhaffte Thorheit vorm Spiegel begangen / als sie ungefehr meine Gestalt darinn gesehen / was hat sie ihr dann viel guts von solcher Erscheinung einbilden können? O das arme Haußgefäß hingegen seufftzete zu GOtt und klagt ihm seine Noth / als sie Trost und Hülff durch den unversehens herkommenen Thaler empfingen; Weme solten sie denn solche Darsendung sonst zugeschrieben haben / als dem jenigen dem sie ihre Noth geklagt? Ob nun gleich beyde Theil von mir so unterschiedlich geurtheilt / daß sie auch nicht unterschiedlicher hätten urthlen kennen / so hat doch der Wahn alle beyde betrogen / und mich gelernet / wie wenig unserm eignen Beduncken zutrauen und zu glauben sey.
Gibt mich dannoch nicht Wunder / daß der alte Simplicissimus in alle Kupfferstück so sich in seiner Lebens-Beschreibung befinden / gesetzt hat: Der Wahn betreugt! vornemlich wann ich mich erinnere / daß ich auff dieser Räise einmals seinen Sohn beym Leben erhalten (weßwegen er dann diesen Spruch vielleicht so offt andet und vor sein Symbolum erwehlet hat) als nemlich ein Eyfersüchtiger Hanrey ihn und sein eigen Weib Ehebruchs halben anklagte; welche Histori dann / wie unten folgen wird / meine obige Meinung von Ursach der Menschlichen Urtheil Betrug bezeugen wird.
Jn solchen Gedancken gieng ich wol zwo Stund / ehe ich sie gar erördert / und als ich durch ein Wäldlein passirt war / darvor ein schönes ebnes Feld lag / sahe ich einen Kerl mit einer Kuh am Strick neben dem Wald herkommen / welcher sich zu mir in die Landstrasse verfügte / die uns nach E. einer so genannten Stadt trug / dahin wir auch noch ungefehr eine Stund zu gehen hatten; Ehe wir nun gar eine halbe Stund lang an solchem Weg hintersich gelegt hatten / erlangte uns gar leicht ein Reitender / weil wir sachte giengen / derselbe bote dem mit der Kuh einen guten Tag / und fragte ihn woher er mit dieser Kuh käme und wohinauß er damit wolte? Jhme antwortet er wäre von C. und seye Willens diese Kuh / die er selbst erzogen hinein nach E. zu Marck zutreiben / und daselbst wegen seiner höchst angelegnen Nothdurfft zuverkauffen; bey mein Ayd / sagte der Reitende / wann ich heut nicht selbst gesehen hätte / daß meine Magd das Vieh in meinem Stall gemolcken und vor den Hirten getrieben / so dörffte ich schweren diese Kuh wäre mein / so natürlich gleichet sie einer von den Meinigen; das glaub ich gern / antwortet der ander / dann es gibt mehr denn nur ein weisse Gans; das ist wahr / sagt der Reitend; aber guter Freund wie wolt ihr sie auffs nechste lassen? unter zwölff Gulden nicht antwortet jener / dann sie ist an der Milch so trefflich gut / daß heut Weib und Kind umb sie geweinet / als ich sie weggetrieben / und wann mich die Noth jetzmals so hart nicht trängte / würde sie mir wol umb vierzehen Gulden nit feil seyn; Das ist zuviel antwortet der ander / ich getraue jetziger Zeit viel ein schöner Stuck
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