Das Yakuza-Mal
über den Dachvorsprung in die Tiefe stürzte. Mulvaney zog sich hoch und rollte über die Schwellen. Ein zweiter Schuß. Ein dritter, ein vierter. Er kniete auf den Schwellen. Andy feuerte nach oben auf die Kerle. »Die Pistole! Wirf die Pistole rüber!« schrie er.
Sie sah zu ihm hinüber, ihre grünen Augen fixierten ihn einen Moment lang. Dann sah er, wie sie die Pistole sicherte, und im nächsten Moment flog die Beretta durch die Luft. Mulvaney streckte die Hand aus, spürte die Pistole, spürte, wie sie ihm durch die Finger glitt. Er versuchte sie festzuhalten, erwischte sie zwischen Zeige- und Mittelfinger am Lauf, aber ohne jeglichen Halt. Ganz langsam zog er sie zu sich her. Andy schrie ihm zu: »Ed! Schieß
!« Mit der linken Hand bekam er den Griff zu fassen. Er hatte keine Zeit, die Pistole in die rechte Hand zu nehmen. Er entsicherte sie mit dem linken Daumen und drückte mit dem linken Zeigefinger ab.
Der Kerl mit dem Selbstladegewehr hatte auf ihn angelegt. Der erste Schuß kam aus der Beretta, der Kolben der M 16 zerbarst, der japanische Killer riß die Hände hoch und faßte sich an die Augen. Er schrie auf.
Und dann hörte er Andys Stimme: »Fang mich, Ed!«
Mulvaney hatte keine Zeit, die Pistole zu verstauen, er streckte den rechten Arm aus und fing sie auf. Er warf sich nach hinten, damit sie nicht beide hinunter in die Tiefe gerissen wurden.
Als er sie sicher im Griff hatte, zog er sie zu sich her, schob sie hinter sich und feuerte dann wieder die Beretta ab. Ein anderer Japaner hatte seine Faustfeuerwaffe auf ihn gerichtet, Mulvaney hörte, wie der Schuß das Gleis hinter ihm traf. Jetzt schoß Mulvaney noch einmal, der Japaner ging zu Boden.
»Los, weiter!« schrie er und packte sie an der linken Hand, in der rechten hielt sie ihre Dick Special. Sie hüpften von Schwelle zu Schwelle von dem Haus weg. Er wußte nicht, wohin sie gingen, aber er wußte, was sie tun würden, wenn sie angekommen waren ...
John Trench Osgood rechnete nicht damit, daß Mulvaney und Oakwood in große Schwierigkeiten geraten würden, wenn er sie an diesem Morgen nicht ständig überwachte. Er mußte unbedingt dieser Ninja-Sache nachgehen, denn es war unsinnig, Mulvaney und Oakwood zu verfolgen und zu hoffen, daß sie ihn auf Peter Ellermanns Spur bringen würden, anstatt einem direkten Hinweis selbst nachzugehen.
Gonroku Umi hatte darauf bestanden, daß eine seiner Enkelinnen, ein sehr hübsches und seltsamerweise sehr westlich wirkendes Mädchen, auf ihren Namen einen Mietwagen für ihn besorgte.
Es war eine zusätzliche Vorsichtsmaßnahme. Sie kam mit einem Jaguar Sedan zurück. Er dankte ihr höflich und erinnerte sich daran, daß sie beinahe jung genug war, um seine Tochter zu sein. Wenn man es so und nicht anders herum ausdrückte, fühlte sich das eigene Ego weniger verletzt. Dann verabschiedete er sich von Gonroku Umi und machte sich auf den Weg zu der Gemeinschaft in den Bergen. Dort hoffte er, den Ninja-Führer Tsukahi-ra Ryoichi anzutreffen, mit dem Gonroku Umi vor 50 Jahren zusammengearbeitet hatte.
Es hatte daher nahegelegen zu fragen: »Sind Sie sicher, Gonro-ku-san, daß dieser Ninja-Jonin noch lebt?«
Gonroku Umi hatte ihm geantwortet: »Kann ich sicher sein, daß Sie ein Mann sind, dem die Ehre viel bedeutet, Osgood-san?«
Osgood hatte nichts mehr gefragt. Zuversichtlich machte er sich auf den Weg. Ein paar Dinge im Leben - nur wenige, aber immerhin ein paar -
blieben Gewißheiten: das Aufgehen der Sonne, die Abfolge der Jahreszeiten und die Weisheit seines alten Freundes.
Die Straße wand sich steil hinauf in die Berge, immergrüne Pflanzen säumten die steil ansteigenden Hügel. Ein Junge auf einem Fahrrad schien von der Eleganz des Jaguars fasziniert. Ein paar junge Mädchen in blauen Röcken und weißen Blusen mußten ihm auf der schmalen Straße ausweichen. Sie lächelten scheu, manche kicherten sogar.
Gonrokus Enkelin hatte ihm ein Sandwich zurechtgemacht, das sie zuerst in einfaches Wachspapier und zusätzlich noch in Goldpapier gewickelt hatte. Das Sandwich war sehr westlich: eine dicke Scheibe Roastbeef zwischen zwei Brotscheiben. Er aß es während der Fahrt. Seine eigenen Kinder wären jetzt junge Erwachsene, wenn sie noch lebten; sie würden ausgehen und ihre Zukunft planen. Er fuhr weiter und kam durch ein kleines Dorf. Alte Leute saßen auf Klappstühlen auf dem Dorfplatz beieinander und unterhielten sich. Er kam an einem Schulhof vorbei, aber es waren keine Kinder zu sehen.
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