Das Yakuza-Mal
Schneide der Muramasa-Klinge in Berührung kam, wurde es in zwei Teile zerschnitten. Dann steckte der Mann eine von Masamune hergestellte Klinge in den Fluß. Kein Blatt kam auch nur in die Nähe dieser Klinge.
Man ging allgemein davon aus, daß die Klinge die Charaktereigenschaften ihres Schmiedes annimmt. Muramasa war ein wahrer Könner seines Fachs, aber wahnsinnig. Seine Klingen machten ihren Besitzer gewalttätig und brachten ihm einen blutigen Tod. Man erzählte sich auch, daß die Götter an Festtagen manchmal in einem Schwert wohnten. Diese Schwerter aber, hieß es, waren die Schwerter Masamunes - die besten seit Menschengedenken.
Osgood merkte plötzlich, daß er noch immer die Schmiede anstarrte. Er ging weiter.
Er erreichte das doppeltürige Tor in der Mauer, die die Enklave umgab. Rechts von dem Tor hing eine Glocke mit einer Schnur am Klöppel.
Osgood bezweifelte zwar, daß seine Anwesenheit verborgen geblieben war, aber der Form halber zog er trotzdem an der Schnur. Die Glocke läutete. Es war so kalt, daß er seinen eigenen Atem dampfen sehen konnte.
Die linke Torhälfte ging auf. Ein Mann in einem schwarzen Seidengewand, wie es Priester tragen, stand vor ihm. Osgood sagte: »Konnichi wa.
Watashi wa Osgood John to moshi masu.
Hajimemashite. Dozo yoroshiku. Sbigoto de kite imasu.« Osgood legte die Handflächen auf die Schenkel und machte eine höfliche Verbeugung.
»Konnichi wa, Osgood-san. O-shigoto wa nan desu ka?«
»Taisetsu desu. Tsukahira Ryoichi to obanashi shitai no desu ga? Taisetsu desu.«
Der alte Mann in dem Priestergewand schwieg einen Augenblick lang. Er schien fasziniert von Osgoods Adamsapfel. Aber Osgood wußte, daß es sich hierbei um eine rein formale Ehrenbezeugung handelte, die nichts über die wahren Gefühle des alten Mannes aussagte.
»Osgood-san, o-hitori desu ka?«
»Hai «
»Doko no kuni kara korare mashita ka?«
»Gonroku Umi kara«, erwiderte Osgood. Der alte Mann schien bei Erwähnung dieses Namens aufzumerken, antwortete jedoch lediglich:
»Osgood-san, ohairi-nasai.«
Osgood verbeugte sich erneut, auch der alte Mann verbeugte sich. Osgood sagte: »Arigato« und ging dann durch das Tor.
Hinter der Mauer befand sich ein Weg, der so breit war, daß zwölf Männer bequem nebeneinander gehen konnten. Der Weg bildete ein Viereck und führte um die Gebäude in der Mitte, deren Dächer er jenseits der Mauer gesehen hatte.
Sie überquerten den Weg und gingen auf ein paar Stufen zu, die zu den Gebäuden führten. Osgood fragte den alten Mann: »Toi desu ka?« »lie, Osgood-san.«
Osgood nickte. Sie gingen unter einem mehrstöckigen Durchgang hindurch, neben und über dem sich weitere Gebäude befanden. Hinter dem Durchgang sah er ein shintoistisches Tor, ein torii, und wiederum dahinter einen klaren Teich mit Lilien in der Mitte der grauglänzenden Wasserfläche. Unter einem sich sanft neigenden Baum stand ein Mann. Er war so groß, daß Osgood einen Moment lang glaubte, er könne auf keinen Fall Japaner sein - eher ein Chinese. Der Mann wandte sich ihm zu.
Osgood zog langsam den Umschlag mit dem Brief aus der linken Außentasche seines Mantels.
Er begann auf Japanisch zu sprechen, aber der große Mann kam ihm zuvor. Sein Englisch hatte einen starken Akzent, war aber grammatisch völlig korrekt. »Ich spreche Englisch, Mr. Osgood.
Innerhalb dieser Mauern ist das Sprichwort, daß die Wände Ohren haben, durchaus wörtlich zu nehmen. Gonroku Umi hat Sie geschickt.« Es war eine Feststellung, keine Frage.
»Ja. Dieser Brief hier wird Ihnen alles erklären.«
Er übergab ihm den Brief. Dem Beispiel Tsukahira Ryoichis folgend, verzichtete er auf die üblichen Höflichkeitsformeln, die normalerweise zu einer Unterhaltung zwischen Japanern gehörten.
Tsukahira machte den Umschlag auf und holte den Brief heraus. Seine Augen glitten über die Zeilen, einmal blickte er kurz auf und sah Osgood an, dann las er weiter. Als er fertig war, steckte er den Brief wieder sorgfältig in den Umschlag und faltete ihn in der Mitte, und zwar nicht nur beinahe, sondern exakt in der Mitte. Er steckte den Umschlag in die Falten der schwarzen Schärpe, die er um die Taille trug. Eine Weile schwieg er. Auch aus der Nähe betrachtet war er so groß, wie er Osgood schon beim ersten Anblick erschienen war. Er war völlig schwarz gekleidet: die Schärpe, das Obergewand und der knöchellange Samurai-Faltenrock waren schwarz. Unter dem Rocksaum kamen schwarze Sandalen zum
Weitere Kostenlose Bücher