Das zarte Gift des Morgens
In fünf Minuten ist sie fertig, dann kann serviert werden«, antwortete Poljakow.
Maria schaute sich bekümmert in der Küche um.
»Du brauchst hier unbedingt eine neue Klimaanlage«, sagte sie. »Wie du in einer solchen Gluthitze arbeiten kannst. . . Im nächsten Monat kaufen wir eine und installieren sie. Wanja -ich habe eine Bitte an dich.«
»Ich höre.« Poljakow verteilte die heiße Suppe portionsweise auf die bereitstehenden Tassen und warf in jede Suppentasse eine Fingerspitze gehackter Minze.
»Morgen hat mein Ältester wieder ein Spiel. Er hat mich gebeten zu kommen. Aber ich kann unmöglich fahren, ich habe viel zu viel Arbeit. Könntest du nicht vielleicht hinfahren, wenigstens zur zweiten Halbzeit? Ich habe ein kleines Geschenkpäckchen für ihn vorbereitet, er wollte verschiedenes Zubehör für sein Motorrad haben . . . Kannst du es ihm bringen?«
»Natürlich, ich habe ja morgen sowieso meinen freien Tag«, sagte Poljakow. »Das ist doch selbstverständlich, Mascha.«
Er erwartete, dass sie wieder ging. Aber Maria zögerte. Auf ihrem Gesicht lag ein seltsamer Ausdruck – eine Mischung aus Unruhe und Verlegenheit, so als wolle sie etwas sagen, könne sich aber nicht überwinden. Plötzlich machte sie einen Schritt auf Poljakow zu und nahm ihm die Schöpfkelle aus der Hand, mit der er die Suppe verteilte.
»Ich mache das schon, geh du inzwischen raus. Du wirst vorm Restaurant erwartet«, sagte sie. »Ich beobachte sie schon seit einer halben Stunde durchs Fenster. Nun geh schon. Sonst kommst du noch zu spät, und sie ist wieder weg . . .«
Poljakow verließ die Küche. Sein Herz, dessen Existenz er in den letzten Tagen, so gut er konnte, ignoriert hatte, klopfte dumpf und heftig in der Brust. Nie hätte er gedacht, dass ihm das noch einmal passieren könnte und noch dazu so betäubend und unerwartet. Wie ein Schlag. Er ging durch den gut besuchten Speisesaal und hörte weder das laute, kehlig klingende Deutsch noch den plätschernden Springbrunnen oder das Gurren der Tauben in dem Käfig unter der Decke -nur das Klopfen des eigenen Herzens.
Auf der Straße blendete ihn die Sonne. Sie stand im Zenit und spiegelte sich im trüben warmen Wasser der Moskwa wider. Eine dichte Staubschicht bedeckte den Asphalt, Bonbonpapierchen aus einem von Spatzen geplünderten Mülleimer lagen auf der Straße. Und mitten in diesem Staub und Kehricht stand Sascha Maslowa.
Poljakow erblickte sie und spürte, wie sein Herz aus der Brust hinaus in die Freiheit drängte – gleich würde es alle Venen und Aorten zerreißen und in den Himmel fliegen oder auf die Brücke stürzen. Verflucht – alles im Leben wiederholte sich. Ein Mädchen mit roten Haaren, das an derselben Stelle stand und auf jemanden wartete. Und gleich daneben ein Wagen – ein silberfarbener Rover. Serafim Simonow, der am Steuer saß, kurbelte das Seitenfenster herunter und sprach das Mädchen an, freundlich-träge lächelnd. Er zeigte auf die im schwülen Dunst kaum sichtbaren Waldhänge der Sperlingsberge und machte eine Geste, als wolle er sagen, dort ist es besser als hier, Kleine. Sascha Maslowa bemühte sich, ihn nicht zu beachten, gar nicht in seine Richtung zu sehen. Ihr Blick war fest auf die geschlossenen Fensterläden des »Al-Maghrib« gerichtet.
Simonow öffnete die Wagentür, lud sie ein, sich zu ihm zu setzen. Poljakow stürzte so, wie er war, zu ihnen hinüber, in der Kochmütze, die aussah wie die Mütze eines Clowns, und im gestärkten weißen Kittel. Als Sascha ihn erblickte, prallte sie zurück und begann plötzlich nervös, ohne Poljakow anzusehen, in ihrer Handtasche zu kramen. Aber Poljakow ging gleich auf den im Auto sitzenden Simonow zu. Denn aus diesem Grund hatte seine alte Freundin, die nichts einfach nur so tat, ihn ja hergeschickt.
»Du fährst sofort wieder weg«, sagte er, atemlos vom schnellen Laufen.
Simonows Hände ruhten müßig auf dem Lenkrad. Poljakow dachte daran, wie Simonow einmal mit diesen Händen im Wettstreit mit Maxim Studnjow, der Wetten aller Art geliebt hatte, vor den Augen Marias und Auroras ein kupfernes algerisches Tablett zusammengerollt hatte wie ein Blatt Papier.
»Fahr weg«, wiederholte er.
Simonow blickte die rothaarige Sascha Maslowa an, die immer noch in ihrer Tasche kramte.
»Ich bitte dich von Mensch zu Mensch«, zischte Poljakow. »Fahr jetzt. Sie bittet dich auch. Mascha, meine ich . . .«
Simonow grinste schief, dann ließ er den Motor an und gab Gas. Der silberfarbene Rover
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