Das zarte Gift des Morgens
Hochzeitsreise in Venedig oder Sascha im Kreißsaal – sie würde ihm Kinder gebären, denn schließlich war er mit zweiundfünfzig ja wohl noch nicht zu alt für Kinder?!
Für Studnjow war in diesen Träumen kein Platz. Er störte nur. Er störte, weil er erst dreißig war, in dieser Stadt lebte und sich mit Sascha traf, er störte, weil er Iwan kannte und Sascha jederzeit Dinge über ihn erzählen konnte, die Iwan sorgfältig vor ihr geheim hielt. Und nicht zuletzt störte Studnjow, weil Sascha ihn nach wie vor liebte. Oder zumindest nicht vergessen konnte.
Am Donnerstag fuhr Iwan zu Sascha, um ihr einen offiziellen Heiratsantrag zu machen. In der Tasche seines Jacketts steckte ein Geschenk: ein Brillantring als Unterpfand ihres Bundes. Er traf Sascha jedoch nicht zu Hause an. Sie war weggegangen. Er wusste gleich, wohin, intuitiv ahnte er das Unheil. Er raste im Auto zu diesem verfluchten Atelier – und erblickte sie dort in Gesellschaft von Studnjow. Zwar war auch noch ein anderes Mädchen dabei, aber schließlich weiß man ja, dass Liebende nur zu oft ihre Freunde als Tarnung benutzen!
Iwan wurde es schwarz vor Augen. Er nahm keine Rücksicht mehr auf sein kostbares Spielzeug, den heiß geliebten Mercedes – im Eifer der Verfolgung fuhr er über rote Ampeln, holte sich Kratzer am Kotflügel und Dellen an der Stoßstange, aber er blieb ihnen auf der Spur: Wohin wollten sie, was würden sie tun?
Die drei stoppten vor einer billigen mexikanischen Bar am Arbat. Studnjow bestellte eine Runde Cocktails, danach Tequila. Anschließend zog sich die Freundin, ganz wie Iwan vermutet hatte, taktvoll zurück, während die beiden noch sitzen blieben. Dann brachte Studnjow sie in seinem Auto nach Hause. Wieder fuhr Iwan ihnen nach. Unterwegs wurde ihm zweimal so übel, dass er fast einen Unfall verursacht hätte. Und zweimal packte ihn die Lust, diesen verhassten kleinen Flitzer mit voller Wucht zu rammen, zu Schrott zu fahren und ihn, Sascha und sich selbst zu vernichten.
Was Sascha ihm sagte, was sie zu ihrer Rechtfertigung stammelte, wollte er nicht hören. Den Brillantring, sein Geschenk, warf er auf den Tisch in ihrer Diele. Das Handy schaltete er ab.
Er meinte, nur so könne ein erwachsener, reifer Mann mit Selbstachtung handeln, der in seinen innersten Gefühlen verletzt worden war.
Doch wie ein Stachel im Fleisch peinigte den verzweifelten, eifersüchtigen Iwan der Gedanke, dass ein richtiger Mann in einer solchen Situation bis zum Ende gegangen wäre – ohne Zögern, ohne faule Kompromisse.
6
Nach der Arbeit beschloss Katja, einen Einkaufsbummel durch die Manege1 zu machen und zu gucken, was es Neues in der Sommer- und Herbstkollektion gab. Aber alles war wie gehabt: Jeans, Tops, gestreifte Hosenanzüge im Gangster-Look. Katja musste sofort an den sterbenslangweiligen Film »Borsalino & Co.« denken. Einen Hosenanzug mit öden englischen Streifen wollte sie nicht. Im Herbst würden garantiert alle mit diesen Zebrastreifen herumlaufen, Abgeordnete, Manager, Sekretärinnen, Minister, Banker, Fernsehansager beiderlei Geschlechts.
Während Katja noch skeptisch die Schaufensterauslagen betrachtete, klingelte ihr Handy. Es war Walentina Sawarsina. Sicher hat sie noch Fragen zu dem Artikel, den wir heute Vormittag besprochen haben, dachte Katja. Der Artikel befasste sich mit den synthetischen Ersatzstoffen von Heroin und dem Kampf gegen ihre Verbreitung – nichts sonderlich Sensationelles. Doch Walentina rief nicht deswegen an.
»Katja, du hast mich doch heute nach ungewöhnlichen Fällen aus der Praxis gefragt. Wie der Zufall es will, jetzt kann ich dir einen liefern. Ein einzigartiger Fall. Ich glaube, etwas Derartiges haben wir noch nie gehabt.«
»Das ist ja toll – was denn?«
»Eine Vergiftung. Eine ganz ungewöhnliche Vergiftung. Weißt du, was benutzt wurde? Thalliumsulfat!«
»Und was ist das?«
»Ein Industriepräparat und gleichzeitig ein Gift. Ein starkes Gift, das abhängig von der Dosierung mit zeitlicher Verzögerung wirkt.«
»Und wer ist vergiftet worden?«
»Ein gewisser Maxim Studnjow. Es geht um ein Gutachten, das Kolossow mir so nebenbei mal untergejubelt hat. Zuerst sollten nur Tests auf Drogenvergiftung durchgeführt werden, aber da war alles sauber. Dann hat er auf weitere Tests gedrängt, weißt du noch, er hat angerufen, als du gerade bei mir warst.«
»Ja, ich erinnere mich.«
»Nun, die zweite erweiterte Untersuchung hat zu einem überraschenden Ergebnis geführt. Im
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