Das zarte Gift des Morgens
begehrte dieses Mädchen nicht nur – er konnte ohne sie einfach nicht mehr existieren.
So fing alles an. Er mietete eine Wohnung für sie, er kleidete sie von Kopf bis Fuß neu ein, er bezahlte ihre Studiengebühren für das nächste Jahr. Jeden Abend eilte er wie auf Flügeln zu ihr, brennend vor Freude, Ungeduld und Glück. Die ganze Nacht hielt er sie fest, fühlte sich gleichzeitig jung und alt, stark und schwach, erfüllt bis zum Rand und ausgeleert bis auf den Grund.
Wenn er sich morgens im Bad rasierte, musterte er nun argwöhnisch und kritisch sein Spiegelbild, sagte sich immer wieder bekümmert, dass er im Vergleich zu ihrer blühenden, duftenden Jugend ein verkalkter alter Klotz sei, dass er diese Beziehung beenden müsse, bevor es zu spät war, denn bei einem Altersunterschied von mehr als dreißig Jahren war noch niemand glücklich geworden.
Aber jede Nacht, wenn er Sascha leidenschaftlich umarmte, schwor er sich, sie diesmal so zu lieben, dass sie vor Lust verging, dass sie bei ihm all ihre früheren Jüngelchen vergaß, wie viele es auch immer gewesen waren – zwei oder eine ganze Legion. Und vor allem sollte sie den einen vergessen, ihn für immer aus ihrer Erinnerung streichen – den Mann, dem sie so verzweifelt und ungeschickt auf dem Kai vor dem Restaurant nachspioniert hatte.
Studnjow gegenüber empfand Iwan bohrende, unerträgliche Eifersucht. Doch trotz dieser Eifersucht hatte er nicht die Fähigkeit verloren, die Situation nüchtern einzuschätzen. Und die Situation stellte sich so dar: Sascha Maslowa ging mit ihm ins Bett, liebte ihn aber nicht. Sie lebte mit ihm, weil er Geld hatte. Sie nahm seine Geschenke an, weil er mit seinen zweiundfünfzig Jahren sich darauf verstand, ihr den Hof zu machen. Sie duldete seine Umarmungen und Küsse, reagierte manchmal sogar mit Leidenschaft darauf, denn Fleisch bleibt Fleisch. Sie benutzte ihn, wenn sie ihm großmütig gestattete, sie zu lieben.
Manchmal schaute er sie an und dachte: Was ist das für ein Unsinn, den ich mir da zurechtgelegt habe – sie benutzt mich, sie gestattet mir, sie zu lieben . . . Woher soll sie diese Erfahrung haben, solche Gedanken, schließlich ist sie doch erst neunzehn, ein halbes Kind! Nein, das waren alles nur seine verfluchten Einbildungen, die ihn quälten und rasend machten. Sascha dachte nicht im Traum an so etwas, konnte ihrer Jugend wegen gar nicht daran denken. Sie lebte einfach so wie alle ihre Altersgenossen, wie die Vögel des Himmels -sie säen nicht, sie ernten nicht. . .
Aber dann fing er die Blicke auf, die sie wie zufällig jungen Männern in ihrem Alter zuwarf – diesen dreisten, großmäuligen, flegelhaften Milchbubis, und auch den etwas älteren, muskulösen, selbstbewussten, kräftigen Burschen, die bis zur Bewusstlosigkeit alle möglichen Kampfsportarten trainierten –, und er begriff, dass seine Zeit vorbei war. Unwiederbringlich! Diese Gedanken quälten Iwan heftig, er spürte, dass Sascha ihn verlassen würde – wenn nicht sofort, dann doch in einem Jahr oder in zwei oder fünf.
Er musste handeln, irgendetwas tun, um sie für alle Zeiten an sich zu binden. Von Zweifeln, Furcht, Eifersucht und Liebe gepeinigt, beschloss Iwan, sie zu heiraten.
In der Vergangenheit war er schon einmal verheiratet gewesen. Neun langweilige, eintönige Jahre hatte er mit seiner Frau verbracht. Dann hatte sie ihn für einen anderen verlassen. Das war zu Beginn der Perestroika gewesen. Iwan erinnerte sich nicht gern daran.
Im Juli sah er dann Sascha wieder zusammen mit Maxim Studnjow. Er hatte ihr nicht nachspioniert – so tief war er damals noch nicht gesunken. Er traf sie ganz zufällig vor dem Modeatelier, in dem Sascha früher gejobbt hatte und wo Studnjow sich ab und zu irgendwelche schicken Fummel kaufte, die dem konservativen Iwan verdächtig feminin vorkamen.
Sie unterhielten sich wie alte Freunde. Studnjow lächelte und betrachtete Sascha mit taxierendem Blick. Sascha wirkte ernst und nachdenklich. Danach, wie sehr er sich auch bemühte, traf Iwan sie nicht wieder zusammen an. Aber das musste ja keineswegs bedeuten, dass zwischen ihnen nichts war, im Gegenteil! Iwan hätte seinen Kopf verwettet, dass sie sich heimlich trafen, dass sie miteinander ins Bett gingen und sich über ihn, den verliebten alten Trottel, lustig machten. Er wurde fast wahnsinnig bei diesem Gedanken. Gleichzeitig wuchs seine Entschlossenheit, Sascha zu heiraten. In seinen Träumen sah er sich und sie schon auf der
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