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Das zarte Gift des Morgens

Das zarte Gift des Morgens

Titel: Das zarte Gift des Morgens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Stepanova
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hier schon lange?«
    »Seit der Eröffnung, das ist jetzt ein Jahr.«
    »Und wie sind Sie an diesen Job gekommen, durch eine Agentur, übers Internet, durch eine Anzeige?«
    »Mochow hat mir die Stelle besorgt. Vorher habe ich in einer Bar am Arbat gearbeitet, aber dort gefiel es mir nicht. Ich habe mich an Mochow gewandt, und er hat dieses Restaurant für mich gefunden. Die Chefin ist nicht knauserig, sie zahlt gut. Solange der Laden nicht Pleite geht, lässt es sich leben.«
    »Eine besonders lebhafte Gegend ist das hier nicht«, meinte Kolossow skeptisch, »eher ein ruhiger Wohnbezirk, und drüben an der Moskwa gibt es so viele Angebote -schwimmende Restaurants, der Vergnügungspark . . .«
    »Für das ›Al-Maghrib‹ gibt es keinen besseren Platz«, widersprach Jelena überzeugt. »Haben Sie die Häuser hier gesehen? Und was hier alles neu gebaut wird? Und dann finden im Neskutschny-Garten dauernd irgendwelche Veranstaltungen statt. Von dort bis zu uns ist es nur ein Katzensprung, man braucht nur über die Brücke zu gehen.«
    »Vielleicht haben Sie Recht«, stimmte Kolossow nachgiebig zu. »Und dieser Studnjow, war er . . .«
    »Ist ihm etwas passiert?«, fragte Jelena. »Wenn Sie von der Mordkommission sind und mich nach ihm fragen, bedeutet das ja wohl, ihm ist etwas passiert?«
    »Ja. Er ist tot«, sagte Kolossow. »Um wie viel Uhr hören Sie gewöhnlich auf zu arbeiten?«
    »Unterschiedlich. Gestern schon um sechs, da hatte ich die Tagesschicht. Heute bin ich eigentlich erst abends dran, aber ich musste wegen meines Handys kommen, wie Sie sehen. Ich hatte es gestern aus der Tasche genommen und vergessen.«
    »So was kommt vor«, sagte Kolossow. An der Art, wie die Kellnerin ihr frühes Auftauchen im Restaurant begründete, hastig und wortreich, merkte er, sie sagte die Unwahrheit. Er hatte auch registriert, dass Jelenas Erscheinen ihre Chefin unangenehm überrascht hatte.
    »Nun, ich danke Ihnen, länger will ich Sie nicht aufhalten. Wo kann ich Ihren Koch Saiko finden?«
    »Er ist in der Küche, kommen Sie.« Jelena stand rasch auf und führte Kolossow über den Flur. Nikita nahm einen süßlichen Geruch wahr. Für ein Parfum etwas zu grob. Es war ihr Haarlack.
    Küchen interessierten Nikita ausschließlich vom Standpunkt des Kriminologen und Chemikers. Vom Kochen verstand er nichts, und im Grunde seines Herzens war er der Meinung, dass die Küche und alles, was damit zusammenhing, nichts für Männer war. Deshalb behielt er an seinem ersten Tag im »Al-Maghrib« von der Restaurantküche fast nichts im Gedächtnis, obwohl er routinemäßig alles aufmerksam musterte. In Erinnerung blieb ihm nur, dass es ein sehr großer, sehr heller und sehr sauberer Raum ohne Fenster war, mit einer Unmenge von Schränken, Tischen und imponierenden technischen Geräten, mit funkelnden Kasserollen, Kesseln und Pfannen. Leider gab es in dieser supermodernen High-Tech-Küche keine Proben für chemische Untersuchungen.
    Maria Potechina hatte gesagt, dass der Müll und die Essensabfälle jeden Samstag abgeholt würden. Studnjow war am Freitagabend vergiftet worden, und jetzt war bereits Dienstag -da war es zwecklos, auf kriminaltechnisch verwertbare Essensreste zu hoffen.
    Den Koch Saiko erblickte er zunächst nur von hinten: einen Hünen mit dem breiten Rücken und den Schultern eines Ringers. Lew Saiko trug einen weiten Kittel aus schneeweißem, gestärktem, knisterndem Leinen. Als er Schritte hinter sich hörte, drehte er sich um. Eine Kochmütze trug er nicht. Sein Haar war rot und kraus, modisch kurz geschnitten, sein Gesicht rund und bäurisch naiv, mit einer Stupsnase, roten Wangen und hellblauen Knopfaugen. Er mochte etwa achtundzwanzig bis dreißig Jahre alt sein.
    Kolossow erinnerte sich ah das Gespräch, das er vom Speisesaal aus mitgehört hatte, und an das Wort »Denunziation«. Saiko kniff seine blauen Augen zusammen.
    »Sie sind von der Miliz?«, fragte er. »Maria Sacharowna hat mich schon informiert. Bitte, ich stehe Ihnen zur Verfügung.«
    Kolossow betrachtete das Fleisch auf dem Tisch. Und die beiden Messer – ein großes und ein kleines. Nach dem ergebnislosen Gespräch mit Jelena Worobjowa verspürte er nur wenig Lust, Lew Saiko zu befragen. Ach, diese Giftmorde mit ihrer verfluchten Unbestimmtheit und lähmenden Zweideutigkeit!
    »Sie haben also am Freitag das Essen zubereitet und am Tisch bedient?« Seine Frage war rein rhetorisch, er erwartete nicht einmal eine Antwort, denn Maria hatte ihm dazu ja

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