Das zarte Gift des Morgens
in das Kissen, als wolle sie sich vor ihm verstecken. Das war also alles, was er ihr zu sagen hatte, nach dem, was gerade zwischen ihnen gewesen war. Dabei liebte sie ihn doch wahnsinnig. Und sie war schwanger. Sie trug sein Kind in sich. Das hatte sie ihm heute eigentlich sagen wollen. Und sie hätte es ihm auch bestimmt gesagt – wäre er nicht so hastig aufgestanden und hätte so demonstrativ ihren flehenden Blick, ihr Verlangen, länger mit ihm zusammen zu sein, ignoriert.
Ja, natürlich, er war betrunken wie immer. Aber doch nicht so, um nicht zu verstehen . . .
Aber sie hatte ja schließlich gewusst, auf was sie sich einließ. Von Anfang an war ihr klar gewesen, was sie von einem solchen Mann zu erwarten hatte. Sie trafen sich nun schon seit einem halben Jahr. Heimlich, niemand durfte davon wissen. Vor allem sie nicht. . .
»Na gut, wenn du nicht reden willst und nur schmollst, bitte sehr. Ich muss jetzt los.« Serafim Simonow trat leicht schwankend vom Balkon wieder ins Zimmer, wo Jelena mit dem Gesicht nach unten auf dem kaputten alten Bett lag.
»Ich muss mich sputen. Sonst macht mir Mariascha wieder eine Szene.«
»Wenigstens hier brauchtest du nicht dauernd von ihr zu reden«, sagte Jelena.
»Wieso?«, fragte Simonow aufrichtig verwundert. »Ist dir das so unangenehm, Kindchen? Bist du etwa eifersüchtig?«
Ja, sie trafen sich schon seit sechs Monaten. Immer am selben Ort – in dieser Mietwohnung hier am Universitätsprospekt. Eine schmutzige, verwahrloste Zweizimmerwohnung in einem schäbigen alten Haus. Die Vermieterin, eine Alkoholikerin mit einem Haufen Kinder, war mit ihrer ganzen zurückgebliebenen Brut aufs Land zu ihrer Schwester gezogen. Jelena hatte die Wohnung durch eine Zeitungsannonce gefunden, die Miete zahlte sie von dem Geld, dass sie von ihrem Gehalt als Kellnerin im »Al-Maghrib« abknapste. Sie und Simonow brauchten einen Ort, an dem sie sich treffen konnten. Genau genommen – und das war Jelena von Anfang an schmerzlich klar –, brauchte nur sie diesen Ort für ihre Treffen mit Simonow. Ihm selber war es egal. Er wäre auch ohne Wohnung ausgekommen.
Als Jelena Serafim Simonow zum ersten Mal im Restaurant erblickt hatte, hatte sie den Kopf verloren. Allen Angestellten im »Al-Maghrib« hatte Maria Potechina allerdings sofort klar gemacht: Dieser hoch gewachsene, blendend aussehende, selbstbewusste und trinkfeste Mann war das persönliche, unantastbare Eigentum der Chefin.
Alle Angestellten wussten, dass Maria nach der Scheidung von ihrem Mann (er hatte nach siebzehnjähriger harmonischer Ehe urplötzlich seine Familie verlassen und nur eine Woche nach der Scheidung ein zwanzigjähriges Fotomodell geheiratet) als Strohwitwe mit zwei Kindern zurückgeblieben war. Die Kinder waren freilich schon groß – zwei Jungen im Alter von sechzehn und vierzehn Jahren. Der Jüngere besuchte ein Elite-College im Ausland, der Ältere war ein vielversprechender Nachwuchsfußballer. Sowohl den Sport wie auch das College bezahlte übrigens der Vater.
Das alles erzählte man sich im »Al-Maghrib«, genauer, tratschte man sich hinter Marias Rücken zu. Man munkelte auch, das Restaurant sei nichts anderes als eine Art Abfindung. Ein fetter Brocken, den Potechin seiner Ex-Frau notgedrungen als Vermögensausgleich und moralischen Trost überlassen hatte. Es hieß, Potechin könne sich ganz andere Dinge leisten -er habe eine gut gehende Firma in Moskau, und außer dem Restaurant am Frunse-Kai hätte er seiner Gattin auch leicht noch ein paar Geschäfte aus seiner weit verzweigten Handelskette schenken können. Aber die hatte sie nicht bekommen. Sie musste sich mit dem »Al-Maghrib« begnügen.
Von ihrem eigenen Kapital kaufte Maria sich dann noch einen weiteren Trost: den schönen Serafim.
Das war nach Ansicht vieler im »Al-Maghrib« nicht weiter schwierig gewesen. In Moskau war Simonow nur ein Zugereister, ein Fremder, und trotz seiner angeberischen Playboy-Attitüde besaß er rein gar nichts, nicht einmal ein Dach über dem Kopf.
Über sich selbst erzählte er niemals etwas. Im »Al-Maghrib« nährte man sich von kargen Gerüchten – angeblich sei er Schauspieler, gebürtig aus Rostow, zuerst auf der Krim engagiert gewesen, dann nach Petersburg gezogen und schließlich in Moskau gestrandet, wo ihn sehr rasch die Potechina aufgegabelt habe.
Jelena Worobjowa hörte alle Erzählungen und Gerüchte. Zuerst verachtete sie diesen erbärmlichen Gigolo. Doch nur so lange, bis sie ihn persönlich
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