Das zarte Gift des Morgens
war irgendein buntes Pulver, schwarze Kügelchen, seltsame getrocknete Späne, Körner, Nüsse, bizarr geformte Schnipselchen.
»Wahnsinn.« Er schüttelte den Kopf. »Was Sie alles haben. Ich verstehe davon überhaupt nichts, und deshalb will ich ganz offen sein. Das Gift, mit dem Studnjow und nach ihm Jelena Worobjowa getötet wurden, hat einen spezifischen Beigeschmack. Wir vermuten, dass es einer scharfen, stark gewürzten Speise beigemischt wurde, damit man es nicht herausschmeckte .«
»Ich verstehe«, sagte Poljakow. Er nahm das Fax mit der Speisenliste in die Hand, ging die Gerichte aufmerksam durch und machte rasch seine Kreuzchen. Nikita schaute ihm über die Schulter: Mehr als die Hälfte der Speisen war angekreuzt. Du lieber Himmel!
»Wer ist denn bei Ihnen der Spezi für die Spezereien?«, kalauerte er ungeschickt, »Sie oder Saiko?«
»Wir benutzen beide diesen Schrank. Die maghrebinische Küche ist ohne Gewürze nicht denkbar.«
»Das ist Pfeffer, ja?« Nikita zeigte auf ein rotes Paprika-Fläschchen, erfreut, dass er wenigstens das erkannt hatte. »Und was ist das – Erbsen?«
»Das ist auch Pfeffer, aber mit besonderem Aroma.«
»Und das hier?«
»Chouch el-Ouard. Rosenknospen, in einem besonderen Verfahren getrocknet. Und das ist Ceylon-Zimt, er hat einen ganz besonderen würzigen Geschmack. Manchmal tut man ihn an Fischgerichte oder an Speisen aus Meeresfrüchten. Vor allem an Tajin, eine Art Fischragout in einer scharfen Sauce«, erläuterte Poljakow.
Kolossow schaute auf die Liste der Speisen und fand kein solches Gericht. Doch irgendwie kam ihm dieses seltsame Wort »Tajin« bekannt vor. Irgendwo hatte er es bestimmt schon einmal gehört.
22
»Wie kommst du voran?«, fragte Katja. »Was hast du gehört, was gesehen?«
Das Gespräch fand im Büro der Mordkommission statt.
»Worte, nichts als Worte.« Nikita stand auf, um für Katja einen Stuhl zu holen. »Und wie bei uns beiden dreht es sich immer nur um die großen, ewigen Themen.«
»Warum guckst du dann so verdrießlich?«
»Warum . . . Von allen Seiten hört man nur: Liebe, Liebe. Der liebt die, und die ist in den verknallt.«
»Nun erzähl mal alles der Reihe nach«, forderte Katja ihn auf.
Kolossow gab ihr einen zusammenfassenden Bericht über seine jüngsten Erlebnisse und Gespräche in der Welt der Gastronomie.
»Na, und worüber bist du so unzufrieden?«, fragte Katja.
»Das ist doch alles Blech, Katja.« Nikita strich ein Zündholz an der Tischplatte an (ein Trick, den er jedes Mal ausführte, wenn Katja bei ihm war, seit sie sich einmal ganz begeistert über seine Geschicklichkeit geäußert hatte) und zündete sich eine Zigarette an. »Kompletter Schwachsinn.«
»Eine interessante Bemerkung, die werden wir uns merken.« Katjas Tonfall verhieß nichts Gutes. »Du hältst es also für ausgeschlossen, dass Menschen manche Dinge aus Zuneigung, Sympathie und . . .«
»Ich glaube bei einem Giftmord einfach nicht an solche Gefühle«, stöhnte Kolossow, »und wenn du mich in Stücke schneidest. Ich glaube es nicht. Und je länger ich diesen Leuten zuhöre, desto sicherer bin ich mir, dass wir mit unseren Ermittlungen auf dem Holzweg sind. Diese ganze Restaurantclique schubst uns mit ihrem Geschwätz über Gefühle unauffällig, aber sehr nachdrücklich auf eine falsche Fährte. Es wird Zeit, dass wir diesen ganzen sentimentalen Unsinn links liegen lassen und uns wieder um unsere eigentliche Arbeit kümmern – die Suche nach dem wahren Grund für die beiden Morde.«
»Und was könnte deiner Meinung nach der Grund dafür sein?«, fragte Katja.
»Das weiß ich vorläufig noch nicht. Aber von einem bin ich überzeugt – Gefühle haben in unserem Fall nichts zu suchen. Hier gibt es nur eiskalte Berechnung.«
»Du hast dir einfach in den Kopf gesetzt, dass niemand anders als Gussarow den Mord an Studnjow in Auftrag gegeben haben kann und dass er die Kellnerin Jelena als Werkzeug benutzt hat«, sagte Katja. »Das steckt doch hinter deiner Theorie von der eiskalten Berechnung, habe ich Recht? Und jetzt versuchst du, die Fakten passend hinzubiegen.«
»Die wahren Fakten, Katja, werden wir erst dann haben, wenn wir wissen, wer das Thalliumsulfat beschafft hat und auf welche Weise.«
»Die einen schwafeln den lieben langen Tag, und die anderen machen die Arbeit«, ertönte plötzlich eine heisere Stimme.
Katja drehte sich um. In der Tür zum Büro stand Konstantin Lessopowalow. Er verströmte einen intensiven Geruch nach
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