Das zarte Gift des Morgens
Benzin, Staub und Bier.
»Bon jour.« Er plumpste in den Sessel, der unter dem Gewicht seiner siebenundneunzig Kilo bedrohlich ächzte. »Ist das eine Hitze draußen. Ihr habt’s gut – Klimaanlage, Vorhänge. Richtig nett und intim habt ihr euch hier eingerichtet.«
»Na, dann will ich mal wieder«, sagte Katja. Lessopowalow ging ihr entsetzlich auf die Nerven.
»Wie, Sie wollen uns schon wieder verlassen?« Lessopowalow schlug die Hände zusammen. »Und da habe ich mich so beeilt, so bemüht. . . Wer weiß, vielleicht wollte ich ja gerade Sie mit meinen Erfolgen beeindrucken? Damit Sie in Ihrem Blättchen irgendwann mal beiläufig ein paar Zeilen kritzeln – ein gewisser Konstantin L., von Gott zwar nicht mit besonderen Geistesgaben gesegnet. . .«
»Kostja, stell meine Geduld nicht auf die Probe«, mischte sich Nikita ein.
Lessopowalow warf ihm einen Seitenblick zu, schaute dann Katja an, langte quer über den Tisch nach der Flasche Mineralwasser und trank direkt aus der Flasche fast einen ganzen Liter.
»Wir können sofort losfahren. Um sechs ist bei denen im Labor Feierabend. Aber gewöhnlich hängen sie dort noch länger herum, surfen im Internet und tratschen«, sagte er nachlässig. »Hier sind die Informationen.« Er nahm einige Blätter aus einer Mappe. »Sieh sie dir an. Ich habe sie überprüft, es passt alles zusammen. Wenn dich meine Meinung interessiert – wir sollten nicht länger warten, sondern ihn sofort in die Mangel nehmen.«
Kolossow vertiefte sich in die Papiere.
»Von wem sprichst du, Kostja?«, fragte Katja. Sie hatte ganz vergessen, dass sie eigentlich geben wollte, und nannte den Grobian Lessopowalow sogar beim Vornamen.
»Von wem? Na, von Juri Worobjow, dem Bruder unserer Kellnerin.« Lessopowalow zwinkerte ihr unerwartet ganz freundschaftlich zu: Na? Den kennst du doch auch!
»Weißt du, wo der Bruder von Jelena arbeitet?«, sagte Kolossow. »In der Wissenschaftlichen Produktionsvereinigung ›Saturn‹. Dort ist er nach dem Studium gelandet. Studiert hat er an der Fachhochschule für Geodäsie, Luftbildfotografie und Kartographie. Jetzt arbeitet er im Labor für photoelektrische Technik, das ist eine Technik, die man bei Navigationssystemen für Raketen und Raumsonden anwendet. Nicht übel, wie? Was steht hier noch? Chef des Labors ist Professor Marussin, korrespondierendes Mitglied der Akademie der Wissenschaften. Worobjow ist vorläufig nur Laborant bei ihm. Ach, über sein Gehalt hast du dich auch informiert, Kostja? Ja, üppig ist es gerade nicht, damit dürfte man kaum über die Runden kommen. Und das Wichtigste, Kostja? Hast du das auch herausgefunden?«
»Na klar, wofür hältst du mich?« Lessopowalow entnahm seiner unergründlichen Mappe ein weiteres Blatt Papier.
Katja sah schweigend zu, wie Kolossow das Dokument aufmerksam durchlas.
»Na?« Sie hielt es nicht mehr länger aus. »Was steht da geschrieben?«
»Der Bruder von Jelena Worobjowa hat unmittelbaren Zugang zum Präparat Thalliumsulfat«, antwortete an Kolossows Stelle Lessopowalow. »Das steht dort geschrieben. Dieses Teufelszeugs wird im Labor aufbewahrt. Die Vorschriften für die Lagerung werden zwar angeblich alle eingehalten, aber in der Praxis führt niemand darüber Buch, wie viel verbraucht wird. Wann sollen wir uns den kleinen Bruder vorknöpfen, Nikita, jetzt sofort oder morgen?«
»Sofort.« Kolossow schlug mit der Faust auf den Tisch.
23
Die Wissenschaftliche Produktionsvereinigung »Saturn« beeindruckte Nikita Kolossow vor allem durch eine mächtige Betonmauer und achtstöckige Fabrikgebäude aus Backstein. Obwohl die Arbeitszeit schon zu Ende war, herrschte immer noch Betriebsamkeit. Kolossow und Lessopowalow wurden an der Pforte bereits von zwei jungen, sportlich aussehenden Männern erwartet. Es waren Mitarbeiter des FSB – laut Lessopowalow hatten sie ein »lebhaftes Interesse« an den Fällen von Thalliumsulfatvergiftung und dem im Zusammenhang damit aufgetauchten Namen von Juri Worobjow gezeigt. Nach einem kurzen Informationsaustausch beschloss man, Worobjow zu einem einstweilen noch informellen Gespräch ins Verwaltungsgebäude zu bitten.
Kolossow fand sich notgedrungen damit ab, dass die Kollegen vom Geheimdienst bei dieser Unterredung dabei waren. Vielleicht hatte ihre Anwesenheit ja auch ein Gutes und erwies sich als ein zusätzliches Instrument, psychologischen Druck auf den Verdächtigen auszuüben.
»Mir wurde gesagt, man will mich sprechen . . .Jemand von der Miliz.«
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