Das Zauberer Handbuch
anderen Gegner? Aber genau das ist es, was den Autor ausmacht und ihn vom Leser zum Schreiber werden lässt, vom Empfänger zum Sender – und damit zum Helden seiner ganz eigenen Geschichte.
Die Macht der Erinnerung
Auch der Fantasy-Protagonist verfügt häufig über Eigenschaften, die ihn aus der Masse hervorheben und ihn nicht selten zum Einzelgänger werden lassen. Oft genug wird er gar verspottet und ausgestoßen, ehe er seiner wahren Natur folgen und seine Fähigkeiten zur Entfaltung bringen kann – all jene, die ihrer schriftstellerischen Ambitionen wegen schon einmal mitleidig belächelt wurden, befinden sich also in guter Gesellschaft. Ganz ehrlich, auch ich habe früher eine ganze Menge argwöhnischer und an meiner Zurechnungsfähigkeit zweifelnde Blicke geerntet, wenn ich erklärte, Bücher verfassen und mit dem Erzählen von Geschichten meinen Lebensunterhalt bestreiten zu wollen – für viele Zeitgenossen ist das halt schlechterdings nicht vorstellbar, und sie schließen von sich auf andere. Es passiert mir bis heute, dass Menschen, die ich von früher kenne und lange nicht gesehen habe, mir freimütig gestehen, dass sie mich damals – im Klartext gesprochen – für einen Spinner hielten und nicht gedacht hätten, dass ich meine Ziele verwirklichen würde. Es erfordert also auch ein wenig Mut, dem kreativen Impuls zu folgen und sich dazu zu bekennen, von Natur aus vielleicht mit ein wenig mehr Phantasie ausgestattet worden zu sein als andere, zumal dieses »Mehr« an Vorstellungsgabe nicht immer ein Zugewinn ist, sondern auch zur Bürde werden kann. Aber wer den kreativen Funken in sich verspürt, der kann gar nicht anders, als diesem Ruf zu folgen und wie Granock vor den Toren Shakaras um Einlass zu bitten.
Dabei hat jeder Held bzw. Autor seine ganz eigene Entstehungsgeschichte, die natürlich eng mit dem in Verbindung steht, was er gesehen, gehört, erlebt und natürlich gelesen hat. Unsere fiktiven Figuren statten wir mit Eigenschaften aus, die wir uns entweder ausdenken oder von real existierenden Personen entleihen; bei uns selbst ist es natürlich ein bisschen komplizierter. Gemäß der altbekannten Regel, dass das Ganze mehr ist als die Summe der Teile, sind wir alle das Ergebnis von dem, was uns in unserem Leben widerfahren ist plus dem, was wir selbst daraus gemacht haben – die Lektionen, die wir gelernt, die Schlüsse, die wir gezogen, die Erfahrungen, die wir gemacht haben. Ebenso verhält es sich mit unserer Kreativität: Auch sie ist das Ergebnis all dessen, was wir unserem hungrigen Geist zugeführt haben: Bücher, Bilder, Comics, Musik, Filme, Theaterbesuche und vieles mehr.
Eine besondere Rolle kommt dabei übrigens dem zu, was wir im Alter von ca. acht bis zwölf Jahren konsumiert haben. Eine alte Scherzfrage lautet deshalb auch: What ist the golden age of science fiction ? Antwort: Twelve .
Da steckt viel Wahrheit drin. Wenn sich viele Fans der originalen STAR WARS-Trilogie für die Prequels nicht so erwärmen konnten, dann wohl auch deswegen, weil sie inzwischen zu alt geworden waren, um den Sense of Wonder noch im selben Maße zu spüren wie einst im Mai ’77. Fans der jüngeren Generation hingegen geben ohne Zögern die neue Trilogie als ihren Favoriten an. Nie mehr wieder sind wir so empfänglich für kreative Impulse wie in der frühen Jugend, manche Dinge, denen wir in diesem Lebensabschnitt begegnen, prägen uns für unser ganzes Leben, nicht nur als menschliche Individuen, sondern, und darum soll es uns in diesem Buch vor allem gehen, als Künstler.
Jeder Schreibwillige hat ein bestimmtes Quantum an Erinnerungen in seinem kreativen Gepäck: an Figuren, die ihn beeindruckt, an Motiven, die ihn geprägt, an Geschichten, die ihn verzaubert haben. Dies ist die Grundlage seiner individuellen Schaffenskraft, jenes Material, aus dem er Ansätze für eigene Geschichten gewinnen kann – zuzüglich dem, was seine Phantasie dann hinzufügt. Je reicher dieser Fundus ist, desto tiefer kann man aus ihm schöpfen, und desto vielfältiger sind die Möglichkeiten, die sich daraus ergeben – wobei es irrig wäre anzunehmen, dass nur phantastische Literatur hier entsprechende Vorlagen liefert. Auch andere belletristische Genres bieten großartige Inspiration, und es gibt nicht wenige Fantasy-Autoren, deren Lieblingsschriftsteller nicht der Phantastik zugehörig sind. Meine Vorliebe z.B. gehört Max Frisch, dem großen Schweizer Literaten – zum einen vielleicht, weil
Weitere Kostenlose Bücher