Das Zauberer Handbuch
eigentlich die Rolle eines Merlin oder gar Gandalf zuschieben, oder, um beim Beispiel von DIE ZAUBERER zu bleiben, des weisen Farawyn, aber dafür bin ich weder alt noch weise genug, und einen Rauschebart habe ich auch nicht. Dennoch möchte ich an dieser Stelle ebenso warnend den Zeigefinger erheben, wie es die vorgenannten Herren wohl täten – denn wie so ziemlich jede Gabe hat auch die Kreativität ihre Schattenseiten. Ist der Funke nämlich erst einmal übergesprungen, nehmen die Dinge fast unaufhaltsam ihren Lauf. Ein Autor, der von seinem Stoff Feuer gefangen hat (ist es nicht seltsam, dass es so viele »feurige« Metaphern zum Thema gibt?) kann den Brand so schnell nicht wieder löschen, gemeinhin erst dadurch, dass er die entsprechende Geschichte zu Ende erzählt und den Flammen so nach und nach ihre Nahrung entzieht. Was harmlos klingt, kann im Alltagstest ganz schön anstrengend sein, vor allem auch dann, wenn man noch nicht den Luxus für sich in Anspruch nehmen kann, vom Schreiben allein zu leben.
Ein Schriftsteller in einer »heißen« Phase seines Werkes ist oft kein ganz umgänglicher Mensch, und mitunter wird dem familiären Umfeld einiges an Toleranz und Nachsicht abverlangt. Dies zu wissen und wahrzunehmen gehört meines Erachtens ebenfalls zum Rüstzeug eines Autors, denn es befähigt einen dazu, nach getaner Arbeit wieder auf den Boden der Realität zurückzukehren und seine soziale Umgebung, die während der Schreibphasen manchmal leidet, wieder zu pflegen – denn auch wenn wir uns nichts Schöneres vorstellen können, als gerade mit unseren Helden in der Geschichte weiterzureisen, in der Realität möchte schließlich keiner von uns gerne als einsamer, an die Schreibmaschine geketteter Eremit enden.
Die magische Gabe verpflichtet also zu einem verantwortungsvollen Umgang, wie Farawyn es wohl ausdrücken würde – oder, um mit Comic-Legende Stan Lee zu sprechen: »Aus großer Kraft folgt große Verantwortung«.
Die griesgrämige Kassiererin
Dies zu erkennen und entsprechend zu handeln, erfordert natürlich ein gewisses Maß an Sensibilität – und hiermit wären wir schon bei der nächsten Eigenschaft, die der Held unseres Autoren-Epos unbedingt mitbringen muss.
Empathie lautet hier das Schlagwort – die Fähigkeit, sich in andere Menschen hineinzudenken und deren Weltsicht und Handlungsweise zwar nicht zwangsweise zu befürworten, aber doch zumindest nachzuvollziehen. Für einen Schriftsteller ist diese Fähigkeit natürlich wichtig, weil sie ihn dazu befähigt, sich in die von ihm geschaffenen Figuren hineinzuversetzen und sie auf für den Leser nachvollziehbare Weise denken, sprechen und handeln zu lassen. Anders als die Sache mit dem magischen Funken ist Empathie aber weniger eine Gabe, sondern eine Fähigkeit, die durchaus auch eingeübt werden kann – nicht nur beim Schreiben, sondern auch im täglichen Leben. Warum macht die Verkäuferin an der Supermarkt-Kasse ein so griesgrämiges Gesicht? Gab es vielleicht einen Grund dafür, dass die gute Freundin den Geburtstag vergessen hat? Warum ist der Kollege am Arbeitsplatz so ein fürchterlicher Rechthaber?
Derlei Dinge nicht nur einfach zur Kenntnis zu nehmen, sondern über mögliche Ursachen nachzudenken (die nicht immer spektakulär ausfallen müssen), hilft nicht nur, die eigene soziale Intelligenz zu schärfen, sondern üben auch das Hineindenken in andere Personen, und zwar durchaus auch solche, die einem zunächst fremd sind – und dies ist für einen Schriftsteller eine wichtige Fähigkeit.
Denken wir zum Beispiel an einen Schauspieler: Soll er einen Serienkiller verkörpern, so wird er dabei (hoffentlich) nicht auf eigene Erfahrungen zurückgreifen, sondern auf die anderer Menschen und versuchen, sie so gut als irgend möglich zu denen der dargestellten Figur zu machen. Und natürlich wird er auch versuchen, sich in die Denkweise der betreffenden Figur hineinzuversetzen, bisweilen, beim sehr extremen Method Acting , bis hin zur kompletten Selbstverleugnung. Ähnlich – wenn auch nicht ganz so krass – verhält es sich bei einem Autor, nur dass dieser der alleinige Darsteller seines Stückes ist: Ganz gleich, ob es sich um die Hauptfigur handelt oder um den Schurken, um dessen üblen Handlanger oder den weisen Mentor des Helden – um die Denk- und Handlungsweise dieser Charaktere glaubhaft zu beschreiben und damit für den Leser nachvollziehbar zu machen, muss der Autor die Fähigkeit haben, in ihre Rollen
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