Das Zaubergift
Meiner Kenntnis der menschlichen Natur zufolge, die, wie ich zugeben muss, hauptsächlich auf dem Studium niederster Exemplare dieser armseligen Gattung beruht, sind scharfzüngige Diskurse über haarfeine Einzelheiten in jeder Organisation hinreichend gute Vorwände für einen saftigen Streit darüber, wer eigentlich das Sagen hat. So wie ich die Sache sehe, hat Heretius Vexial dem Sehenden die Führung des Ordens streitig gemacht. Das Resultat der demokratischen Abstimmung war offenbar zu knapp, um eine Entscheidung herbeizuführen, also ist er einfach gegangen und hat die Hälfte der Mönche mitgenommen.
Ich bin von dieser Geschichte über die streitenden Mönche bereits gelangweilt, als Heretius schließlich doch noch zum interessanten Punkt kommt.
»Während des Kampfes, der stattfand, bevor wir das Kloster verließen, wurde die Statue von Sankt Quaxinius, die auf einem Podest im Hof stand, umgeworfen und zerstört. Das war ein harter Schlag für uns alle. Die Statue war uralt und eine großartige Arbeit. Sie bestand aus Marmor, der aus dem Steinbruch von Juval stammte. Der Besitz einer Statue von Sankt Quaxinius ist für ein Kloster von Kampfmönchen absolut unabdingbar.«
Quaxinius war ein wehrhafter Heiliger, der vor einigen Hundert Jahren in einem Krieg mit den Orgks getötet worden ist. Folglich betrachten die Kampfmönche ihn als eine Quelle der Inspiration für ihre Art der Religionsausübung.
»Wir vom Wolkentempel mussten uns natürlich mit dem Schicksal abfinden, ein neues Kloster ohne eine Heiligenstatue zu gründen. Aber das war uns bekannt, und wir hatten bereits eine neue Statue in Auftrag gebeben. Da aus Juval kein Marmor mehr importiert wird, bestellten wir eine Bronzestatue bei Rodinaax.«
Ich hebe die Brauen.
»Es hätte zwar noch einige Zeit bis zu ihrer Vollendung gebraucht, aber da Rodinaax jetzt tot ist, sind wir gezwungen, sie irgendwo anders in Auftrag zu geben, was natürlich eine weitere Verzögerung bedeutet. Bildhauer seiner Klasse sind rar, und sie haben meistens mehr als genug zu tun. Für unser eben flügge gewordenes Kloster ist das natürlich ein ernsthafter Rückschlag. Seid Ihr Euch der Dreifach-Mond-Konstellation in drei Monaten gewahr?«
»Das bin ich. Noch weiß ich genug aus meiner Zauberlehrlingszeit, dass ich das wichtigste astrologische Phänomen der Wahren Kirche kenne. Wenn die drei Monde sich etwa alle zehn Jahre in einer Reihe am Firmament auffädeln, ist das ein großes Ereignis. Wir veranstalten ein Fest. Alle singen Hymnen und betrinken sich beim Wagenrennen. Es hat mir immer sehr gefallen. Vor allem Letzteres.«
»Wenn wir keine Statue beim Beginn der Konjunktion aufweisen können, bedeutet das einen ernsthaften Gesichtsverlust.«
»Wie ernsthaft?«
Der Ehrwürdige Heretius dreht seinen jungen Gefährten den Kopf zu und macht eine kurze Bewegung mit den Augen. Die beiden verbeugen sich und ziehen sich zurück. Als wir allein sind, sieht er mich an.
»Sehr ernsthaft. Ohne Statue können wir unser Konjunktionsritual nicht abhalten. Falls Vexial der Sehende seine eigene Statue bis dahin ersetzt hat, könnten die Mönche vom Wolkentempel in eine höchst schwierige Lage geraten.«
»Schlicht gesagt: Keine Statue – keine Mönche – kein Abt?«
Er nickt.
»Aber Vexial und der Sternentempel haben doch auch keine Statue. Haben sie eine neue in Auftrag gegeben?«
»Das glaube ich nicht. Ich nehme stattdessen an, dass sie für den Diebstahl der Statue von Rodinaax verantwortlich sind.«
»Wollt Ihr damit sagen, dass Vexial, ein Abt, stillschweigend die Ermordung von Rodinaax geduldet hat, damit er sich eine Statue unter seinen ehrwürdigen Nagel reißen konnte?«
»Das ist sehr gut möglich. Vexial ist rücksichtslos. Ich glaube zwar nicht, dass seine Mönche vorsätzlich einen Mord planen würden, aber wer weiß, was misslungen sein kann, als sie versucht haben, sich der Statue zu bemächtigen, die für den Schrein bestimmt war? Oder aber er hat andere beauftragt, die diese Aufgabe für ihn ausführten und nicht wussten, was passieren würde. Wie auch immer, mit diesen beiden Dingen, dem Diebstahl und dem Mord, hat Vexial einen verheerenden Schlag gegen mich geführt. Rodinaax’ Tod bedeutet für mich, dass unser eigenes Götterbildnis vielleicht nicht rechtzeitig fertig wird und er dagegen ein beeindruckendes neues für sein eigenes Kloster gewinnen kann. Wenn das noch so ist, wenn die Dreifach-Mond-Konstellation eintritt, dann wird sein Tempel über
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