Ein düsteres Weihnachtsmärchen (German Edition)
Prolog
In den nördlichen Gefilden des Märchenlandes Grimm liegt die Region Winterland. Ein Flecken Erde, der die meiste Zeit des Jahres mit Schnee bedeckt ist und bei dem die zauberhafte Stimmung von Weihnachten, ganzjährig in der Luft liegt.
Inmitten dieser prächtigen Landschaft ruht ein kleines Dörfchen, mit dem Namen Tanngrün. Eine gemütliche Siedlung von rund eintausend Seelen. Tanngrün ist für seine wunderschönen Holzhütten und die freundlichen Menschen bekannt. Hier beginnt unsere Geschichte.
Der Wind tobte an diesem Abend besonders stark. Ein Unwetter hatte sich über Tanngrün zusammengebraut. Tosend und pfeifend schossen die Böen über die Dächer der Hütten hinweg. In den meisten Fenstern brannte noch Licht. Wenn auch nicht in allen.
Die zehnjährige Rebecca rutschte unruhig auf ihrem Stuhl herum. Sie saß mit ihren Eltern am Esstisch der festlich geschmückten Wohnstube. Der Raum war hell erleuchtet und der Duft von Mandarinen und Gebackenem lag in der Luft. Wie an jedem Weihnachtsabend, trug Rebecca ihr bestes Kleid, aus hellblauem Stoff gefertigt und mit weißen Stickereien verziert.
Die Mutter hatte einen saftigen Gänsebraten mit Kraut und Knödeln zubereitet. Als Nachspeise sollte es Weihnachtsplätzchen und Lebkuchen geben.
Eigentlich war es der fröhlichste Tag im ganzen Jahr. Doch diesmal konnte Rebecca ihn nicht genießen.
Draußen stürmte es heftig, so schlimm wie noch nie zuvor am Heiligen Abend. Man konnte fast glauben, etwas Unheilvolles würde in dieser Nacht geschehen.
Rebeccas Vorahnungen raubten ihr schier den Appetit. Nachdenklich stocherte sie in ihrem Essen herum.
„Was ist denn mit dir los?“, wollte der Vater wissen.
Rebecca antwortete: „Ich weiß nicht. Ich habe einfach Angst. Was ist, wenn er kommt?“
Ihr alter Herr winkte ab. „Ach was, so ein Blödsinn! Das alles ist nichts, als abergläubischer Hokuspokus. Du wirst doch nicht an diesen Unsinn glauben wollen!“
„Ich weiß nicht ...“
„Schluss jetzt!“ Der Vater wurde laut. „Ich dulde diesen Unfug keine Minute länger an meinem Tisch! Und jetzt iss endlich deine Gänsekeule. Mutter hat sich mit der Zubereitung so viel Mühe gegeben.“
„Ja, Vater.“ Rebecca gehorchte und steckte die Gabel in den Mund. Die Gans schmec kte wirklich sehr gut. Doch am liebsten hätte sie alles wieder ausgespuckt. Die Angst blieb weiterhin präsent und verdarb ihr den Schmaus.
Plötzlich ertönte von draußen ein Läuten. Die Turmuhr der Dorfkirche schlug schon Zehn. Eigentlich aßen sie nie so spät am Heiligen Abend, und auch sonst nicht. Doch heute sollte eine Ausnahme sein. Der Vater wollte ihr und der Mutter beweisen, dass es nichts zu befürchten gab. Auch nicht um diese Uhrzeit in dieser Nacht.
Genüsslich stopfte Rebeccas alter Herr den Braten in sich hinein. Die Mutter sah hingegen nicht so sorglos aus. Ihr ging es wie der Tochter. Sie hatte Angst.
Das Mädchen wollte noch einen weiteren, gequälten Bissen nehmen, als plötzlich ein lautes Poltern von draußen zu hören war.
Der Vater fuhr vom Tisch hoch. „Das darf doch nicht wahr sein! Da erlaubt sich bestimmt so ein Bengel einen Scherz. Aber Dem werde ich geben!“
Er ging zur Tür und wollte sie öffnen, als diese plötzlich krachend aufflog. Ein kalter Windhauch stürmte in die Hütte und löschte alle Kerzen. Im Nu lag der Innenraum in völliger Dunkelheit.
„Was soll das?“, protestierte der Vater. „Das ist ...“ Weiter kam er nicht. Rebecca sah, durch das spärlich hereinfallende Mondlicht, nur einen großen Schatten. Der Schatten hob den Vater nach oben und würgte ihn. Dann – kurz darauf, packte der Fremde den Kopf seines Opfers und riss ihn von Hals herunter. Polternd fiel der Schädel zu Boden. Anschließend flog der restliche Körper mitten in den Weihnachtsbaum, am anderen Ende des Zimmers.
Die Mutter schrie vor Entsetzen und sprang vom Stuhl auf. Doch der Fremde war sofort bei ihr und warf sie mit voller Wucht gegen die Wand.
Rebecca reagierte geistesgegenwärtig und versteckte sich unter dem Tisch. Das Mädchen schluchzte und wimmerte. Als sie zur Seite schaute, erblickte sie die Mutter, die vor der Wand auf dem Boden lag. Die Augen weit geöffnet und starr, sah sie genau in Rebeccas Richtung. Die Gesichtszüge wirkten schlaff und leblos, nichts war mehr darin zu lesen. Dem Mädchen wurde bewusst, die Mutter war tot. So tot, wie der Vater.
Rebecca kugelte sich zusammen und hoffte, der unheimliche Schatten würde
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