Das Zeichen der Schwalbe (German Edition)
Ein gesellschaftlicher Anlass wie dieser ist ein seltenes Vergnügen für die Mädchen.
Am Tag des Balls standen wir sehr früh auf, badeten und kleideten uns an und dann öffnete Marisol die Ledertruhe mit ihren Ketten, Broschen, Armbändern und Ringen und meinte, wir sollten uns für den Abend etwas aussuchen. Tomás gibt ein Vermögen für ihren Schmuck aus! Wir verbrachten den ganzen Vormittag damit, mit dem funkelnden Schatz zu spielen und eingehend zu beratschlagen, was am besten zu unseren neuen Kleidern oder zu unseren Augen passte.
In unserem Zimmer hängt ein großer Spiegel mit einem vergoldeten Rahmen und als wir fertig angekleidet und geschmückt waren, begutachteten wir eine nach der anderen unser Spiegelbild und bestaunten die Verwandlung, die mit uns vorgegangen war. Ich bin hochgewachsen wie mein Vater, doch dank der Geschicklichkeit der Schneiderin überspielt mein neues Kleid meine Größe. Ich finde es sehr hübsch: Es ist aus dunkelblauer Seide und hat ein hellgelbes, mit Spitze besetztes Unterkleid. Mein Haar war zu langen Zöpfen geflochten um den Kopf gewickelt und mit wachsartigen weißen Blüten geschmückt, die himmlisch dufteten. Von Marisol hatte ich mir eine Halskette aus Saphiren und Perlen und Ohrringe ausgeliehen, groß genug für eine Prinzessin. Ich nahm meinen Fächer und übte, ihn zu öffnen, ihn zu schließen, ihn über der unteren Gesichtshälfte halb zu öffnen, sodass nur meine Augen zu sehen sind – so macht Sanchia das. Die junge Frau im Spiegel, die mich über den Rand des Fächers hinweg anstarrte, sieht überhaupt nicht wie eine Beata aus.
Am frühen Nachmittag, als wir schließlich alle acht dicht gedrängt in der Kutsche saßen, konnte selbst die schwarz gekleidete Doña Luisa uns die gute Laune nicht verderben, obwohl sie ununterbrochen predigte, wie sich schickliche junge Damen der Gesellschaft zu benehmen hätten.
Die Fahrt schien endlos, doch schließlich erreichten wir eine prachtvolle und festliche Kulisse. Der Garten war voller hoher, süß duftender Pflanzen, es gab einen Springbrunnen und überall leuchteten Fackeln. Eine Gruppe von Musikern spielte auf, eine andere Gruppe führte lebhafte Bauerntänze und -lieder auf. Wir folgten Marisol und Doña Luisa ins Haus, um der Gattin des Gouverneurs unsere Aufwartung zu machen. Alles war hell erleuchtet und barfüßige Diener in feiner Livree reichten köstliche Getränke. Um uns herum funkelten die Damen in ihrem schönsten Schmuck. Es schien, als redeten alle gleichzeitig. Sanchias Augen blitzten, als sie über den Rand ihres Fächers hinweg flirtete, wenn sie dachte, dass ich nicht hinsah, und selbst Pía lachte über irgendeine Geschichte, die ein junger Mann ihr erzählte.
Als der Ball eröffnet wurde, gab es so wenige unverheiratete Frauen, dass wir für jeden Tanz einen Partner hatten und uns nicht ein einziges Mal hinsetzten. Doña Luisa saß nahe der Tanzfläche bei den anderen Matronen, wo sie ein wachsames Auge auf die Mädchen halten konnten. Immer, wenn es beim Tanzen eine Unterbrechung gab, packte Doña Luisa die arme Rita und hielt ihr einen Vortrag über gutes Benehmen.
Nach einem prächtigen Festmahl, das um Mitternacht serviert wurde, saß ich allein da und wartete darauf, dass Doña Luisa mit Rita zurückkehrte, als ein Herr stehen blieb, sich verneigte und mir einen guten Abend wünschte. Ich blickte auf. »Don Miguel!«, rief ich. Don Miguel Aguilar – nun, da ich wusste, wessen Sohn er war, versuchte ich, in seinem Gesicht Ähnlichkeiten mit Sor Beatriz zu entdecken, doch es gelang mir nicht. Sein indianisches Blut hat seine Züge geformt. Er hat dichte Brauen und stechende dunkle Augen und seine weiße Halskrause hebt die Bräune seiner Haut hervor. Seine schwarze Kleidung war mit zahlreichen Goldketten geschmückt und er sah sehr vornehm aus.
Ich sagte, dass wir ihm Marisols ungewöhnliche Heirat zu verdanken hätten – wenn er nicht gedroht hätte, den widerstrebenden Don Tomás nach Hause zu schleifen und sich von Doña Luisa verloben zu lassen, wäre Don Tomás nicht auf den Gedanken verfallen, Marisol zu entführen. Don Miguel entspannte sich ein wenig und sagte lächelnd, dass man in der Kolonie eben anders freite als in Spanien. »Offensichtlich«, antwortete ich lachend, »doch Marisol ist trotz allem sehr glücklich.«
Don Miguel ist ein ernster Mann, eindringlich und stolz. Es überraschte mich, dass er sich neben mich setzte, doch er ist eben auch sehr höflich. Ich war
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