Das Zeichen der Schwalbe (German Edition)
den neuen Kleidern und Fächern wurden auf das Dach geschnallt. In meiner Truhe lag außerdem die Chronik. Ich weiß, dass ich sie eigentlich dem Kloster überlassen sollte, doch noch bringe ich es nicht übers Herz, mich von ihr zu trennen, und außerdem wagte ich nicht, sie in unserer Zelle zurückzulassen, wo sie jeder finden konnte, vor allem, da wir nicht wissen, wie lange wir bei Marisol bleiben werden. Hierzulande scheint man Besuche recht lässig zu handhaben und die Oberin geht davon aus, dass wir über Wochen bei den Beltráns bleiben. P í a und Zarita fiel die Trennung schwer, doch Zarita versicherte Pía, dass Scheidungen immer sehr lange dauern und dass sie noch im Kloster sein werde, wenn Pía wiederkommt. Sie umarmten sich zum Abschied, wie zwei Blumen, die sich in der Abendluft küssen.
Die Reise vom Kloster bis zur Hazienda der Beltráns dauerte vier Tage. Wir sind nun seit zwei Wochen hier und die Oberin hatte recht: Marisol und Tomás haben eine ganze Reihe von Männern eingeladen, mit dem einen oder anderen Vorwand vorbeizuschauen. In der düsteren sala mit den schweren Möbeln und frommen Bildern und Kruzifixen, die jedes verfügbare Fleckchen Wand ausfüllen, sitzen wir jeden Nachmittag schweigend da, so als würden wir zur Schau gestellt. Wir nippen an einem Glas Zuckerwasser und halten die Augen züchtig gesenkt. Die prächtige Uhr, die Tomás’ Vater für viel Geld aus Spanien mitgebracht hatte, tickt laut im Hintergrund und zeigt die falsche Uhrzeit an. Die Männer trinken von dem feurigen Alkohol, der aus einer einheimischen Pflanze hergestellt wird, stolzieren wie Gockel in der sala auf und ab, reden miteinander und begutachten uns, als seien wir Vieh, das zum Verkauf angeboten wird.
Es ist schrecklich!
Die Männer umkreisen Pía wie Wespen eine Honigwabe. Doña Luisa, Tomás’ Mutter, beobachtet uns mit Argusaugen und sobald wir auch nur ein Wort mit einem von ihnen wechseln, schürzt sie die Lippen und beklagt sich, wir seien schamlose Flittchen. Vor allem Pía ist Doña Luisa ein Dorn im Auge, vermutlich, weil Tomás’ älteste Schwester Rita zwar ebenso alt wie Pía, jedoch längst nicht so schön ist. Doña Luisa achtet genau darauf, dass sie nicht nebeneinander auf dem Sofa sitzen, wenn die Besucher kommen.
Pía steht den Männern vollkommen gleichgültig gegenüber, obwohl sie ihr Gedichte schreiben, ihr Blumen bringen und sie mit liebeskrankem, waidwundem Blick anschmachten. Marisol hebt die Vorzüge dieses Mannes oder jenes Mannes hervor und versucht, einen Funken Interesse zu erzeugen, jedoch ohne Erfolg. Pía vermisst Zarita.
Sanchia ist plötzlich richtig hübsch geworden. Sie ist groß für ihr Alter und recht grazil, ihre Haut ist samtig und ihre Augen blitzen vor Übermut. Sie sieht viel älter aus als dreizehn und gibt sich alle Mühe, mit Pías Verehrern zu flirten. Dieses Kind hätte niemals einen Fächer in die Finger bekommen dürfen – sie hat herausgefunden, wie sie einen Mann einfach dadurch in kürzester Zeit an ihre Seite zitieren kann, dass sie ihm über den Rand des Fächers hinweg einen Blick zuwirft und dabei mit den Wimpern klimpert. Ich finde es beunruhigend zu sehen, dass sie sich nicht als Kind betrachten, und Tomás war gezwungen, mit einigen entflammten jungen Lümmeln ein ernstes Wort zu reden und sie darauf hinzuweisen, dass sie noch nicht im heiratsfähigen Alter ist. Sanchia ist deswegen sehr böse. Sie liebt die Aufmerksamkeit.
Marisol hat angeboten, Sanchia zu sich zu nehmen. Doch so sehr Sanchia Marisol auch mag, so will sie doch nicht an einem Ort leben, an dem es so wenig Abwechslung gibt. Und schon gar nicht an demselben Ort wie die ständig herumkrittelnde Doña Luisa mit ihren Adleraugen! Sie möchte mit Pía und mir ins Kloster zurückkehren und abwarten, was die Zukunft bringt. Sie sagt, sie wird sich ansehen, welche Männer wir heiraten und sich dann entscheiden.
Wir sind nun schon seit einem Monat bei Marisol und hätten eigentlich längst wieder abreisen sollen. Im Haus des Bezirksgouverneurs sollte jedoch ein Ball stattfinden und alle Landbesitzer aus der Gegend mussten mit ihren Frauen und Töchtern daran teilnehmen. Marisols Leibesumfang war inzwischen gewaltig, doch sie setzte sich über Doña Luisas Bedenken hinweg und bestand darauf, uns als Anstandsdame zu begleiten. Zur großen Freude der jüngeren Beltrán-Mädchen wollte sie auch nichts davon hören, dass die beiden zu Hause blieben, wie ihre Mutter es wollte.
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