Das Zeichen der Schwalbe (German Edition)
Murren ist ein wenig leiser geworden. Rita soll die Patin des Babys sein und Don Miguel der Pate – das hat Doña Luisa sich ausgedacht. Sie hofft, dass sie auf diese Weise zueinander finden.
Marisol fürchtet die bevorstehende Tortur. Sie denkt daran, wie es ihrer Mutter erging. Und auch wenn ich ihr nichts davon sage, so denke auch ich an meine Mutter und daran, dass sie bei meiner Geburt gestorben ist. Ich habe Angst um meine Freundin. Pía und ich sprechen eine Novena für Marisol.
Das Leben auf der Hazienda ist sehr ruhig geworden, da wir immer damit rechnen, dass das Baby kommt. Es gibt nur wenige Besucher und daher hat Sanchia Tomás überredet, nach den Musikern und den Tanzmädchen zu schicken, mit denen sie sich angefreundet hat, damit sie uns in der sala unterhalten. Sie sind in den Unterkünften für die Dienstboten untergebracht – sehr zu Doña Luisas Ärger. Marisol jedoch genießt die Abwechslung, die sie uns abends nach dem Essen bieten, und so hat sie sich Doña Luisas Anweisung widersetzt, sie hinauszuwerfen. Sanchia tanzt inzwischen ebenso gut wie die Tanzmädchen, wie sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit unter Beweis stellt.
Pía macht sich Sorgen um Zarita. Wir bekommen hier nur selten Nachricht und wissen lediglich, dass die Epidemie sehr schlimm war und viele gestorben sind.
Seit zwei Tagen schreit Marisol in ihrem abgedunkelten Zimmer. Ich sitze bei ihr und tupfe ihr mit einem Schwamm das Gesicht ab und halte ihre Hände, bis ich es nicht mehr ertragen kann! Tomás wandert ruhelos zwischen dem Haus und den Ställen hin und her, er kann keinen Moment still sitzen. Auf dem Anwesen sieht man viele Kinder, die eindeutig seine sind. Wie oft war er schon für diese Qualen verantwortlich? Ich beginne Tomás zu hassen. Und alle anderen Männer. Doña Luisa sagt, die einheimischen Frauen und die Bäuerinnen spürten den Schmerz nicht so wie die vornehmen Damen. Bei den Mahlzeiten unterhält sie uns mit Schilderungen ihrer Ge-burten – was Marisol durchmache, sei nichts dagegen, betont sie.
Marisol hat einen Sohn und eine Tochter bekommen, beide sind gesund. Deo gratias! Sie selbst war jedoch erschreckend blass und schwach und nach der Geburt blutete sie heftig und bekam Fieber. Nichts von dem, was in den Medizinbüchern gestanden hatte und woran ich mich erinnerte, schien zu helfen und ich war der Verzweiflung nahe, als eine der Dienerinnen, eine Einheimische, sich mit einer Wundauflage und einem fürchterlich stinkenden Kräutertrank ins Zimmer drängte. Sie blieb hartnäckig an Marisols Seite und sorgte dafür, dass sie den ganzen Tag lang immer wieder ein wenig davon trank. Wenn sie nicht gewesen wäre, wäre Marisol gewiss gestorben. Doña Luisa hatte einen Priester ins Haus beordert, um ihn zur Taufe und für die letzte Salbung zur Stelle zu haben. Tomás hat dunkle Ringe unter den Augen und sieht plötzlich viel älter aus. Die Babys wurden Mariana und Teo Jesús getauft. Als Doña Luisa Marisol sagte, welche Namen sie für sie ausgesucht hatte, öffnete Marisol einen Moment lang die Augen und schloss sie wieder, zu schwach, um etwas dagegen zu sagen.
Doña Luisa hat eine Amme für die Babys gefunden. Wir sitzen bei Marisol und füttern sie mit Brühe. Ihre Blässe und ihre Teilnahmslosigkeit beunruhigen uns, obwohl es ihr allmählich ein wenig besser geht, so hoffen wir zumindest. Ich hörte Tomás’ jüngere Schwestern flüstern, sie seien froh, dass sie Nonnen werden und die Qualen der Niederkunft nicht würden ertragen müssen.
Einen Monat nach der Geburt kann Marisol endlich aufstehen und auf der Veranda sitzen. Die Zwillinge sind groß und kräftig und gedeihen dank der Milch ihrer Amme. Sanchia, Pía, Rita und ich gehen abwechselnd mit ihnen auf und ab, während Doña Luisa schimpft, dass wir sie verwöhnen. Don Miguel hat seinen neuen Patenkindern einen Besuch abgestattet und beiden einen kleinen goldenen Becher mitgebracht. Er und Tomás sind einen Tag lang zur Jagd ausgeritten, was Tomás guttat. Marisol hat sich inzwischen soweit erholt, dass sie mit ihrer Schwiegermutter darüber streitet, wann die Babys gefüttert werden sollen, und Doña Luisas Anweisungen, was die Köchin zum Abendessen zubereiten soll, auf den Kopf stellt.
Es ist Zeit, dass wir ins Kloster zurückkehren.
KAPITEL 27
Aus der Chronik der Sors Santas de Jes ú s, aus der Feder von Esperanza, im Missionskloster Las Golondrinas de Los Andes, Oktober 1553
Wir hatten gehört, dass die
Weitere Kostenlose Bücher