Das Zeichen der Schwalbe (German Edition)
alle beugten uns vor, um ihn zu bewundern.
Marisol sagte, sie würde einige Tage bei uns bleiben, weil Tom á s in der Nähe etwas Geschäftliches zu erledigen habe. Sie erwiderte die Verbeugungen einiger anderer wohlhabender Frauen, die sie kannte und die ebenfalls im Kloster wohnten. Als Gattin des Don Tom á s ist sie offenkundig jemand, vor dem man sich verbeugt.
»Ich muss euch eine Geschichte erzählen«, flüsterte sie uns zu, nachdem sie ihre Verbeugungen gemacht hatte. »Diese Damen dort drüben haben auf eigene Kosten in der Stadt eine besondere Kapelle für reumütige gefallene Frauen errichten lassen. Wie ihr wisst, gibt es in der Stadt viele Bordelle und Prostituierte und Konkubinen, aber« – sie kicherte – »die Männer hier sind bekannt für ihre Großzügigkeit und gefallene Frauen leben oftmals gar nicht schlecht. Also«, und hier kicherte sie noch heftiger und wies mit dem Kopf in die Richtung einer Gruppe fein herausgeputzter junger Frauen, die sich in einer Ecke des Innenhofs Luft zufächelten, » diese gefallenen Frauen wollen ihren Lebensstil gar nicht auf Dauer aufgeben. Sie kommen ins Kloster und verbringen hier die Feiertage oder ruhen sich einfach aus. Keine von ihnen wird jedoch einen Fuß in die neue Kapelle setzen, weil sie es peinlich fänden, vor aller Welt zuzugeben, dass sie gefallene Frauen sind. Und so bleibt die neue Kapelle leer.«
Wir alle staunten über den leichten Ton, in dem Marisol von Bordellen und Konkubinen sprach, doch Zarita meinte ganz ungerührt: »Ja, die Männer haben viele Geliebte unter den Mestizinnen und leben ganz offen mit ihnen, als seien sie mit ihnen verheiratet. Die Frauen haben Kinder und sind immer fein gekleidet. Sie gehen auch in die Kirche.« Zarita beugte sich vor und strich P í a eine Haarsträhne hinter das Ohr. Die beiden lächelten einander an.
Auch ich hatte Marisol viel zu erzählen. So berichtete ich ihr, dass Sor Beatriz eine Tochter hatte, die zu den Nonnen gehörte, die die Mission vor über dreißig Jahren gegründet hatten.
»Nein!«, rief Marisol ungläubig. »Meinst du, sie haben sie hierher geschickt, um ihre Existenz geheim zu halten? Ich meine, eine Nonne mit einem Kind? Das kann für Sor Beatriz nicht einfach gewesen sein. Ich frage mich, wer der Vater ist.«
Und so verbrachten wir die folgenden Tage sehr vergnügt. Zwischen den Mahlzeiten und den Gebeten saßen wir schwatzend im Innenhof, spekulierten, wer der Vater von Sor Beatriz’ Tochter gewesen sein mochte, und überlegten, was für ein Mensch Salomé wohl war. Ich erzählte den anderen ihre Geschichte und sagte, ich sei fest entschlossen, mit ihr zu sprechen. Schließlich schickte Don Tom á s einen Diener, der ausrichten ließ, dass er seine Geschäfte abgeschlossen habe und sie sich auf den Heimweg machen müssten. Als sie sich verabschiedete, meinte Marisol, sie sei reich genug, wir sollten ihre Mitgift unter uns aufteilen. Außerdem versprach sie, bald die Kutsche zu schicken, damit wir sie besuchten, bevor das Baby kam. Die Oberin freute sich mit uns, dass Marisols schreckliche Entführung ein so gutes Ende genommen hatte, auch wenn sie kopfschüttelnd anmerkte, dass Don Tom á s skandalöse Manieren habe.
KAPITEL 26
Aus der Chronik der Sors Santas de Jes ú s, aus der Feder von Esperanza, auf der Hazienda der Familie Beltr á n, Juli 1553
Marisol hielt Wort. Ein Diener brachte eine Einladung, sie zu besuchen, und die Oberin schickte nach einer Schneiderin, weil unsere Kleider schäbig und am Saum zerschlissen waren. Die Schneiderin, eine verarmte spanische Witwe, sollte für jede von uns drei Kleider machen – eines für den Vormittag, eines für den Nachmittag und für Besuche und eines für Einladungen am Abend. Wir begleiteten sie auf den Markt, wo sie hartnäckig mit den Händlern um Stoff und Spitze handelte. Ein Schuster vermaß unsere Füße, um uns neue Lederschlappen zu machen. Die Oberin meinte, die Schneiderin habe uns einen guten Preis gemacht, doch all unser neues Gepränge brauchte bedenklich viel von unserer Mitgift auf. Die Oberin selbst erstand chinesische Fächer und schenkte sie uns. Alle Damen hätten heutzutage solche Fächer, sagte sie.
Außerdem meinte die Oberin, die Beltr á ns hätten viele Bekannte unter den örtlichen Landbesitzern und viele von ihnen seien unverheiratet.
Die Kutsche der Beltr á ns kam, in Begleitung zweier bewaffneter Vorreiter und eines Dienstmädchens, das sich um uns kümmern sollte. Unsere Truhen mit
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