Das Zeichen der Schwalbe (German Edition)
ihm dankbar, dass er mich nicht allein, ohne meine Freundinnen, sitzen ließ. Als ich ihn bat, mir mehr über sein Land zu erzählen, tat er es mit großer Leidenschaft. Dabei konnte ich bald erkennen, dass ihn die Art erzürnt, wie die Spanier mit den Einheimischen umspringen – so wie es die Damen erzählt hatten, denen wir an unserem ersten Abend in Spanischamerika begegnet waren. Er schilderte ausführlich, wie arme Seelen, Sklaven und Bauern, gezwungen werden, in den Silberminen zu arbeiten, und berichtete von Massakern und Überfällen durch die Spanier. Es ist schockierend, solche Geschichten zu hören; wahrscheinlich sah er, wie erschrocken ich war, denn plötzlich verstummte er.
Dann sagte ich, die Oberin habe seiner Mutter einen Brief geschrieben und angefragt, ob ich sie besuchen und ihr meine Aufwartung machen dürfte, wenn ihre Trauerzeit vorüber sei, weil ich ihr Botschaften von den Nonnen in Spanien überbringen wollte. Er antwortete, sie werde mich sicher gerne empfangen. Ich fragte mich, ob er wusste, dass er Sor Beatriz’ Enkel ist, und ob Salomé ihm je von den Umständen ihrer Geburt erzählt hatte. Die meisten feinen spanischen Damen sprechen und handeln mit übertriebenem Anstand, also hat Salomé vielleicht nichts gesagt.
Dann unterbrach Doña Luisa uns. Sie schob Rita in Don Miguels Richtung und drängte mich aus dem Weg. Don Miguel erhob sich, verneigte sich und empfahl sich mit höflichem Gemurmel. Doña Luisa schnaubte mißbilligend. »Er sollte wieder heiraten«, sagte sie und sah Don Miguel nach. »Er ist zwar ein halber Inka, doch sein Vater war ein Prinz. Eine gute spanische Ehefrau würde diesem Unfug um die Einheimischen bald ein Ende bereiten. Du hättest ruhig etwas sagen können, Rita, um ihn auf dich aufmerksam zu machen! Steh doch nicht herum wie ein Esel! Schließlich hat er Esperanza mit reichlich Aufmerksamkeit bedacht, als sie mit ihm sprach!«
Die arme Rita ist ihrer Mutter hilflos ausgeliefert, lässt sich Tag und Nacht von ihr herumschubsen und hätte sogar den Teufel höchstpersönlich mit Kusshand genommen, solange er sie von zu Hause wegbrachte. »Ja, Mama.« Sie seufzte.
Rita und Don Miguel? Das wäre eine ganz und gar unglückliche Verbindung, dachte ich. Don Miguel strahlt einen unterdrückten Zorn und eine kaum gebändigte Kraft aus, die eins zu sein scheint mit diesem Land, mit den gewaltigen Bergen, dem strahlenden Licht, dem mächtigen Plateau. Er ist stolz darauf, dass sein Vater ein Nachfahr des indianischen Herrschers war. Die Sonnengötter auf Erden, so wurden sie genannt. Eine heidnische Gottheit und eine grausame dazu, wenn es stimmte, was man sich über sie erzählte. Die gutmütige, bescheidene Rita einem solchen Mann zur Frau zu geben wäre so, als würde man sie opfern, so wie die Inkas früher Jungfrauen opferten, wie es heißt.
Als erneut zum Tanz aufgespielt wurde, zerrte Doña Luisa Rita mit sich. Plötzlich kam Pía mit einem ängstlichen Ausdruck in ihrem sonst so ruhigen Gesicht auf mich zugeeilt. »Sanchia ist verschwunden«, flüsterte sie. Ein paar junge Männer drückten sich in der Nähe herum, warteten darauf, Pía zum Tanz aufzufordern, und starrten sie derweil an wie eine Herde liebeskranker Lamas. Sie beachtete sie gar nicht.
»Sanchia hat getanzt und als Doña Luisa versuchte, einen Tanzpartner für Rita zu finden, und gerade nicht aufpasste, verschwanden Sanchia und ihr Partner auf die Veranda. Und jetzt kann ich sie nicht mehr finden.«
Pía und ich schlichen uns unauffällig davon, damit die Schar der Verehrer nichts merkte, und machten uns auf die Suche nach Sanchia. Vielleicht war sie ebenfalls entführt worden – ein willigeres Opfer konnte man sich kaum vorstellen. Möge Gott ihrem Entführer beistehen! Schließlich fanden wir sie hinter den Ställen bei den Musikern und ihren Tanzmädchen. Ihr Gesicht war erhitzt, sie hatte die Röcke gerafft und sagte, sie habe die Lieder und Tänze der Einheimischen gelernt.
Für den Rest der Nacht ließen wir sie nicht mehr aus den Augen.
Inzwischen ist es September geworden und wir wissen, dass wir eigentlich ins Kloster zurückkehren sollten, doch nun hat uns die Nachricht erreicht, dass die Pocken ausgebrochen sind. Marisol möchte uns gern bei sich haben und lässt uns nicht ziehen, bevor die Gefahr vorüber ist. Sie ist mittlerweile derart rund und gewaltig, dass sie sich kaum noch rühren kann. Tomás liest ihr jeden Wunsch von den Augen ab und selbst Doña Luisas
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