Das Zeichen der Schwalbe (German Edition)
Kraft, anderen zu helfen, denen man ebenfalls schreckliche Dinge angetan hatte. Und dass ihnen diese Dinge passierten, war auch nicht ihre Schuld, genau wie bei Ihnen. Sie helfen den Nonnen, weil Sie ein gutes Herz haben. Aber anstatt zu denken ›Ich bin stark, ich bin gut, ich bin klug und kann viele Dinge tun‹, lassen Sie andere für sich entscheiden, weil Sie es ihnen recht machen wollen. Doch im Leben müssen Sie Verantwortung für das übernehmen, was Sie tun. Wenn Sie Zweifel wegen Theo haben, wenn es Ihnen leid tut, dass Sie sagen, Sie wollen ihn nicht … dann sollten Sie zu ihm zurückkehren.«
Auf gar keinen Fall! Menina hob den Kopf, sah ihm in die Augen und erwiderte mit fester Stimme: »Ich habe es genau so gemeint, wie ich es gesagt habe. Mit Theo bin ich fertig. Und auch wenn Sie sagen, ich soll mir keine Vorwürfe machen wegen … wegen … Ich habe mich durch seinen Namen und seine Herkunft mitreißen lassen, durch das, was meine Mutter und andere Leute von ihm und seiner Familie dachten. Ich habe nicht gesehen, dass er und seine Familie nur eine nette, vorzeigbare hispanische Ehefrau wollten, die die hispanischen Wähler anlockt. Jemanden, über den sie bestimmen können. Ich glaube, ich war zu dumm, um das zu sehen. Nein, ich war nicht dumm, ich hoffte einfach nur … dass alles so war, wie die Leute es sagten.«
Sie holte tief Luft. »Wenn ich Theo geheiratet hätte, wäre es früher oder später schlecht ausgegangen. Und es wäre schlimmer geworden als jetzt, wahrscheinlich hätten auch Kinder mit dringesteckt. Was er getan hat, hat mir gezeigt, wie verabscheuungswürdig er ist. Aber was mir in meinem Elend am meisten geholfen hat, ist, dass Sie gesagt haben, es sei nicht meine Schuld und es sei gut, wütend zu sein. Und ich war so wütend auf Theo! Nun, Sie haben ja gehört, was ich gesagt habe! Und als Sie mich dann gebeten haben, Almira zu helfen, und mir schilderten, wie es jungen Frauen ergeht, die Frauenhändlern in die Hände fallen, wurde mir klar, dass Sie wussten, was Sie sagten, dass es darum geht, die Wut nicht gegen den Falschen zu richten. An diesem Punkt begann ich zu denken, dass ich vielleicht keine Schuld an der Vergewaltigung hatte, so wie Sie gesagt hatten. Die Art, wie ich die Dinge betrachtete, hat sich dadurch geändert.«
Menina brachte ein schmerzvolles Lächeln zustande. »Und wissen Sie, was mir auch noch geholfen hat? Die Tatsache, dass Sie mich nicht leiden konnten, dass Sie mich für dumm hielten, weil ich mir meine Tasche hatte stehlen lassen, dass Sie mich eine Prostituierte nannten. Wenn Sie eine derart schlechte Meinung von mir hatten und trotzdem dachten, dass es nicht meine Schuld war, nun, dann konnte ich Ihrer Aussage vertrauen.«
»Es tut mir leid. Ich war gemein, aber ich machte mir Sorgen um Almira und die ganze Operation. Ich konnte sie nicht aufs Spiel setzen. Aber ich habe meine Worte nicht gut gewählt.« Alejandro streckte ihr seine Hand entgegen, mit der Handfläche nach oben. Menina zögerte, dann legte sie ihre Hand in seine. Sie saßen da, sahen einander an und hielten diesen Augenblick fest. Keiner von beiden sagte ein Wort, denn sie wussten, wie wichtig es war, dass sie ihre nächsten Worte sehr sorgfältig wählten.
Dann hörten sie ein Räuspern. Der Zauber war gebrochen. »Alejandro?«, sagte ein Mann. »Entschuldige, wenn ich störe, aber du sagtest, ich solle herkommen und … Ah, ist das die junge Dame? Encantado, se ñ orita! In Wirklichkeit sehen Sie sogar noch schöner aus als auf dem Vermisstenfoto.«
»Ernesto! Ich habe Menina von dir erzählt.« Alejandro sprang auf und umarmte einen kleinen unscheinbaren Mann mit grauem Haar, einer Tabakspfeife in einer Hand und einer Zeitung unter dem Arm. Sie setzten sich und tauschten Nettigkeiten aus, während Alejandro Kaffee bestellte. Alejandro bat Menina, alles von Anfang an zu erzählen. Ernesto zündete seine Pfeife an und lehnte sich zurück, um zuzuhören.
»Am besten fange ich hiermit an.« Sie legte den Samtbeutel auf den Tisch. »Ernesto, Alejandro sagt, er hat Ihnen von meiner Medaille erzählt und davon, wie sie in meine Hände gelangt ist.« Dann zog sie das Buch zusammen mit zwei Notizblöcken aus dem Beutel. »Ich habe Alejandro erzählt, dass die Nonnen in dem Kloster, in dem ich adoptiert wurde, mir außerdem ein altes Buch mitgegeben haben. Sehen Sie: eine Schwalbe auf der Medaille, eine Schwalbe auf dem Bucheinband – man kann sie gerade noch erkennen. Bisher habe
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