Das Zeichen der Schwalbe (German Edition)
kleine Schälchen mit Mandeln, Oliven, Garnelen, mit salzigem Käse gefüllte Paprika, dünne Scheiben dunkelroten Schinkens und eine Karaffe mit Rotwein. Menina gab sich alle Mühe, damenhaft und langsam zu essen, doch sie war so hungrig, dass es ihr schwerfiel. Und ehe sie sichs versah, hatte sie die letzten Bissen vom Schinken verschlungen. Die anderen kleinen Teller und Schüsseln waren leer. Sie blickte auf und sah, dass Alejandro sie amüsiert betrachtete. Sie wurde rot. »Tut mir leid«, murmelte sie. »Das meiste habe ich wohl aufgegessen. Es war so lecker, dass ich mich nicht beherrschen konnte.«
»Nein, ist gut. Ich sehe, Sie mögen spanisches Essen«, sagte er mit breitem Grinsen. Er war in der Zwischenzeit immer wieder aufgestanden, um Leute zu begrüßen, die an ihrem Tisch stehenblieben. Sie alle wollten ihm gratulieren, fragten nach seiner Familie und wünschten ihm ein frohes Osterfest, schnalzten bestürzt mit der Zunge, als sie erfuhren, dass seine Brüder und Schwestern mit ihren Familien nicht über die Feiertage nach Hause gekommen waren. Alejandro meinte entschieden, er habe ihnen gesagt, dass sie dieses Jahr nicht kommen sollten, und alle nickten wissend und sagten: »Die Polizeioperation. El Sting. « Eine Frau fragte Alejandro, ob seine Schwester ihm immer noch Schokoladenfische schicke.
Sie alle betrachteten Menina mit großem Interesse. Vermutlich fragten sie sich, wie Alejandro an jemanden wie sie geraten war, dachte Menina. So unordentlich, wie sie aussah, konnte sie wohl kaum mit seinen schicken Freundinnen mithalten. Alejandro stellte sie als Kunststudentin vor und fügte hinzu, dass sie im Kloster arbeite und auf der Suche nach Gemälden sei, die die Nonnen verkaufen könnten. Als diese Information von Tisch zu Tisch weitergereicht wurde, breitete sich zustimmendes Gemurmel aus. Alle schienen zu wissen, dass sie im Kloster wohnte, und bald stellte sie fest, dass die meisten älteren Leute die eine oder andere Geschichte über Las Golondrinas oder den Bürgerkrieg zu erzählen hatten. Und wie Alejandro ihr sagte, gab es viele Dorfbewohner, die eine Verbindung zum Kloster hatten: Hier war einer, der Holz für die Nonnen hackte, dort waren andere, die ihnen Essen brachten oder polvorónes kauften. Manche hatten sogar noch Angehörige unter den Nonnen.
Einige Leute erzählten Menina, es sei ein Skandal, dass der Bischof das Kloster schließen wolle. Schließlich sei es Teil der Geschichte dieser Gegend, schon seit der Zeit vor der Reconquista . Ob Menina wisse, dass dieses Dorf einst zu einem großen Anwesen einer wohlhabenden maurischen Familie hier im Tal gehört habe? Sie wiesen auf einige der Umsitzenden: Sie seien Nachfahren dieser Familie. »Selbst Alejandro, seine Vorfahren lebten früher in diesem Tal, müssen Mauren gewesen sein vor langer Zeit.« Die Zuhörer nickten einmütig.
»Ah, ja, das stimmt«, meinte Alejandro. »Aus der Familie meiner Mutter.« Vom Nachbartisch beugte sich ein älterer Mann herüber. Wisse Menina denn, was die Reconquista sei?
Sie redeten über die Reconquista , als sei es gestern gewesen. Genau so, wie die Älteren in Georgia über den Amerikanischen Bürgerkrieg sprachen – oder die »jüngste Unannehmlichkeit«, wie einige alte Damen in Laurel Run ihn bezeichneten. Als Menina nickte und sagte, sie wisse von der Reconquista , das sei um das Jahr 1492 gewesen, oder?, da schien ihre Antwort von Tisch zu Tisch zu wandern. Wieder nickten die Leute zustimmend und ein älterer Mann an einem der Nachbartische legte Messer und Gabel nieder und schob seinen Stuhl näher an ihren, um ihr zu sagen, dass bei all dem Ärger, den es in der heutigen Welt zwischen Juden und Moslems und Christen gebe, Menina doch wissen sollte, dass es eine Zeit in Andalusien gegeben habe, zu der die Mauren und die Christen und die Juden friedlich zusammenlebten. Menina entgegnete, dass sie gerade eine alte Chronik des Klosters lese, in der genau dasselbe stehe.
Eine alte Dame, eine der Großmütter, meinte, was immer die Leute auch gegen die katholische Kirche sagen mochten: Das Kloster sei etwas Gutes und Heiliges.
Das sei vermutlich auch der Grund, weshalb die Kirche es schließen wolle, erwiderte der alte Mann barsch. Brüllendes Gelächter war die Antwort.
Auch Menina lachte. Sie fühlte sich wohl. Der Wirt brachte noch mehr Wein, dann Lamm und Artischocken und Reis. Die Schatten wurden länger und Teller mit kleinen Kuchen wurden aufgetischt. Irgendjemand begann,
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