Das Zeichen der Schwalbe (German Edition)
darin war ein Bild von meiner Medaille und der Chronik zu sehen und es wurde auch kurz erläutert, warum ich diese Dinge habe.«
Beiden Männern war ihre Sorge anzusehen. Beunruhigt blickte Menina zu Alejandro hinüber. Er hatte sein Leben für die albanischen Mädchen riskiert und der grimmige Ausdruck in seinen Augen machte ihr klar, dass er dasselbe auch für sie tun würde. »Ich habe meine Pistole«, meinte er. »Ich werde sehen, was wir an Polizeischutz organisieren können …«
Was habe ich da angerichtet? Einen Moment lang fragte sich die alte Menina, das gute Mädchen, verzagt, ob dieses neue Problem ihre Schuld sei – doch die neue Menina befahl der alten Menina, den Mund zu halten und nachzudenken. Und schon wusste sie, was zu tun war: Becky anrufen.
Menina schob ihren Stuhl zurück und sagte entschieden: »Pistolen und Polizeischutz werden nicht nötig sein, meine Herren. Ich weiß genau, was wir tun sollten. Auf keinen Fall sollten wir die Geschichte unter den Teppich kehren, sondern vielmehr so viel wie möglich davon veröffentlichen. Alejandro, bitte helfen Sie mir noch einmal bei einem Telefonat nach Amerika. Meine beste Freundin ist … Journalistin und wäre sicher ganz wild darauf, eine so große Sache in die Finger zu bekommen. Und ich bin ihr etwas schuldig; ohne sie wäre ich gar nicht nach Spanien gekommen. Und Ernesto könnte Kontakt mit Professor Lennox aufnehmen.« Sie zog die Visitenkarte von Professor Lennox aus der Hosentasche. »Sie ist Expertin für spanische Kunst des sechzehnten Jahrhunderts und hat die Reise organisiert, an der ich eigentlich teilnehmen wollte. Ich habe keinen besonders guten Eindruck hinterlassen, aber ich bin mir sicher, dass Sie mit Ihrem Charme sie überreden könnten, hierherzukommen und sich anzusehen, was ich im Kloster gefunden habe. Übrigens ist sie sehr attraktiv.« Ernesto nahm die Karte und sagte, es werde ihm ein Vergnügen sein.
»Und ich arbeite weiter an der Übersetzung des Evangeliums. Aber ich hätte liebend gern einen richtigen Tisch und einen Stuhl.«
»Das wird sich machen lassen«, sagte Alejandro.
An den darauffolgenden beiden Tagen, bevor ihre Eltern und Becky nach Spanien kommen sollten, ging Menina den Hügel hinunter zur Polizeiwache. Sie hatte die Chronik, ihre Wörterbücher und die Notizblöcke bei sich. Es war wunderbar, endlich einen Schreibtisch und eine vernünftige Lampe zu haben und nicht mehr zusammengekrümmt auf einer Steinmauer zu hocken und im Schein einer Kerze zu lesen und zu schreiben. Sie prüfte und überarbeitete ihre Übersetzung und schrieb verschiedene Versionen in Langschrift auf, während Alejandro einen ausführlichen Bericht über die Operation am Wochenende abfasste. Und schließlich tauchten ein paar Fernsprechtechniker auf und reparierten die Telefonleitungen. Alejandro sprach mit Interpol und mit Ernesto und Menina telefonierte mit ihren Eltern und mit Becky.
Am Ende des zweiten Tages kam Ernesto zum Abendessen und beim Kaffee las Menina ihm und Alejandro vor, was sie an diesem Tag bearbeitet hatte:
Die erste Geschichte des Evangeliums unserer Gründerin Salomé, wie sie Salomé unserer Schreiberin erzählte
An einem heißen Nachmittag in Judäa führte Jesus, Sohn von Joseph, dem Zimmermann, und seiner Frau, Maryam, seine jüngere Schwester Salomé zu einer Gruppe von Jungen, die sich lachend und planschend an den Ufern eines Flusses vergnügten. Die Jungen verstummten, als Jesus Salomé ans Ufer setzte und in den Fluss watete, um zu ihnen zu gelangen. Niemand wagte, ihn nasszuspritzen oder mit ihm zu raufen. Die Rabbis im Tempel nannten ihn ein seltsames Wunderkind, einen Jungen, der das Alphabet kannte, ohne dass man es ihn gelehrt hätte, der das Recht kannte und ohne jede Scheu die Rabbis unterwies, wo doch die Rabbis ihn hätten unterweisen sollen. Kinder, die man zum Wasserholen zum Brunnen schickte, berichteten, dass Jesus das Wasser, nach dem seine Mutter ihn geschickt hatte, in einem Tuch statt in einem Krug nach Hause trug. Spielgefährten, die ihn verärgerten, erlitten Unfälle – er hatte einen Jungen verflucht, der ihn zu Boden gestoßen hatte, und die Hand des Jungen verdorrte. Ein Kind, das ihn verhöhnt hatte, wie Kinder es eben tun, fiel tot um. Man erzählte sich, dass ein Nachbar sich aus Versehen mit einer Axt den Fuß vom Bein getrennt hatte. Da nahm Jesus den zuckenden Fuß und setzte ihn wieder an das Bein, während der Mann entsetzt seine blutige Axt ansah.
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