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Das Zeichen der Schwalbe (German Edition)

Das Zeichen der Schwalbe (German Edition)

Titel: Das Zeichen der Schwalbe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Bryan
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und Kupferutensilien zu verkaufen, die sie auf Decken ausgebreitet hatten. Von irgendwoher duftete es verführerisch nach Gegrilltem oder Würstchen.
    Dann wurde eindringlicher Trommelschlag über dem Lärm hörbar, und die Leute auf dem Platz verstummten, als der Trommelschlag lauter wurde. Sie drängten sich zur Seite, um eine Gasse in der Menge frei zu halten. Mit den Trommeln ertönte ein düsterer Sprechgesang, der klang, als würde er durch ein Mikrofon verstärkt. Dann zog die Prozession langsam vor dem Bus vorbei. Ein Priester in schwarzer Robe ging an der Spitze. Er trug einen langen Stab mit einem Kruzifix, das in schwarze Gaze gehüllt war. Hinter ihm gingen in Roben gekleidete Jungen und sangen den Antwortgesang zu dem, was aus dem Mikrofon ertönte.
    Dann stockte Menina der Atem. Ein riesiges, mit schwarzem Stoff verkleidetes Holzgestell kam näher, auf dem die trauernde Madonna als überlebensgroße Gipsfigur dargestellt war. Die Figur bewegte sich schwankend über der Menschenmenge und die schwitzenden Männer, die das schwere Gestell auf ihren Schultern trugen und vor Anstrengung Grimassen schnitten, erschienen im Vergleich zu ihr winzig klein. Unter einem gigantischen silberfarbenen Glorienschein mit durchbrochenem Schnörkelmuster umrahmten ein Wimpel und ein schwarzer Schleier das bleiche, von Trauer verzerrte Gesicht der Jungfrau. An ihren Händen, die sie zum Gebet erhoben hatte, baumelte ein Rosenkranz aus übergroßen schwarzen Perlen, an dem ein Kreuz hing. Zu ihren Füßen lag der geschundene, verdrehte Körper des toten Christus. Aus seinen Wunden tropfte ganz realistisch rotes Blut. Dieses Bild blendete alles andere auf dem Platz aus und einige der Teppichverkäuferin stimmten einen schrillen Trauergesang an, eine urtümliche Klage, so voller Schmerz und Leid, dass sie Menina einen Schauder über den Rücken jagte.
    Der nächste Teil der Prozession war noch seltsamer. Im langsamen Rhythmus der Trommelschläge gingen Gestalten in lilafarbenen Roben mit hohen spitzen Kapuzen, die bis auf zwei Sehschlitze ihr Gesicht vollständig bedeckten. In den Händen hielten sie etwas, das aussah wie Peitschen aus Stacheldraht. Alle paar Schritte hoben sie alle gleichzeitig ihre Peitschen und schlugen sich damit selbst auf den Rücken. Bei einigen der Gestalten konnte man schwache rote Flecken auf den Schultern ausmachen. Dann verklang die Trommel mit einem Wirbel und einem letzten Schlag, die Prozession kam zum Stehen. Der Gesang verstummte. In die Stille hinein ertönte ein Befehl und dann hoben die Männer, die das Holzgestell trugen, alle gleichzeitig ihre Last an und setzen sie langsam auf dem Platz ab. Auf ihren Schultern, dort, wo das Gestell auflag, hatten sie dicke Polster umgeschnallt. Sie rieben sich den Nacken und wischten sich den Schweiß von der Stirn. Die Männer in den lilafarbenen Roben nahmen die Kapuzen ab, viele zündeten sich eine Zigarette an. Wein und Kaffee wurden herumgereicht.
    » Est á n practicando «, erklärte der Busfahrer, drehte sich halb zu seinen Passagieren um und zeigte mit dem Daumen auf die Männer. Sie probten. Der Fahrer lehnte sich aus dem Fenster und wechselte lachend ein paar Bemerkungen mit einigen der Männer. Dann schlug er mit der Hand auf die Seite des Busses und ließ den Motor an. Als sich der Bus vom Platz entfernte, blickte Menina zurück. Sie fühlte sich aufgewühlt. In Laurel Run bedeutete Ostern Lilien in der Kirche, gefärbte Eier und Damen mit neuen Hüten. Was sie hier gerade gesehen hatte, war urtümlich und unmittelbar – es ging um Tod und Blut und Schrecken und den eisernen Griff der Religion.
    Allmählich mussten sie sich der Haltestelle nähern, an der sie umsteigen sollte, dachte Menina. Als sie immer weiterfuhren, wünschte sie sich, dass sie sich am Flughafen etwas zu essen gekauft hätte. Meninas Magen begann ernsthaft zu knurren. Sie stand auf, um einen Schokoriegel aus ihrem Rucksack zu holen. In diesem Moment fuhr der Bus um eine steile Kurve, sodass sie das Gleichgewicht verlor. Sie packte die Gepäckablage mit beiden Händen, dann kam eine weitere Kurve und schließlich schnaufte der Bus langsam eine schmale Straße hoch in ein weißes Dorf, das über dem Tal zu hängen schien. Am Rand eines sonnenbeschienenen Platzes mit einem gekachelten Brunnen, einer weißen Kirche mit rotem Ziegeldach, blühenden Orangenbäumen und einem Caf é mit Tischen davor kam er zum Stehen.
    Der Fahrer stand auf und verkündete, sie würden hier eine

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