Das Zeichen der Schwalbe (German Edition)
Stunde Pause machen, für »la comida« . Er zeigte auf seine Uhr und ermahnte alle, pünktlich wieder am Bus zu sein. Und sie sollten alle ihre Siebensachen mitnehmen; Spanier seien ehrliche Leute, doch selbst hier oben in den Bergen gebe es heutzutage viele Afrikaner und andere diebische illegale Einwanderer. Er zwinkerte Menina zu, klopfte auf seinen Bauch und winkte sie zu sich. Sie machte sich an ihrem Rucksack und ihrer Handtasche zu schaffen und beachtete ihn nicht. Erst würde sie etwas essen und dann wollte sie sich die Kirche ansehen und einen großen Bogen um den Fahrer machen.
Im Caf é stand eine lärmende Gruppe von Männern um eine Bar, die sich unter dem Gewicht von Weingläsern und Flaschen zu biegen schien, obwohl es erst Mittagszeit war. Der Goldzahn des Busfahrers blinkte auf, als er beiseiterückte, damit Menina sich neben ihn setzen konnte. Menina ging schnell wieder nach draußen und setzte sich an einen der Tische vor dem Caf é unter einen Orangenbaum. Sie holte einen Block aus ihrem Rucksack und begann zu zeichnen: die Kirche, die Blumen und etwas auf dem Hügel über dem Dorf, das aussah wie die Überreste eines alten Schlosses. Sie hätte schrecklich gerne einen Cheeseburger oder ein Club-Sandwich gegessen, doch der Kellner schüttelte den Kopf. Er würde ihr etwas bringen. Sie verstand zwar nicht, was er ihr bringen wollte, doch sie nickte und machte sich dann über die Oliven her, die er auf den Tisch stellte, als er ihre Cola servierte. Dann aß sie ein großes Kartoffelomelette mit Kräutern und Paprika. Nachdem sie ihre Rechnung beglichen hatte, fühlte sie sich zu satt, um gleich aufzustehen und die Kirche zu besichtigen.
Die Leute aus dem Bus waren noch in der Bar und der Platz war menschenleer. Die einzigen Geräusche kamen von den Schwalben, die über ihr hin und her flogen, und von dem Brunnen in der Mitte des Platzes. Immer wieder wehten ihr kleine Duftwolken von den Orangenblüten um die Nase, Bienen summten und die heiße Sonne auf ihrem Rücken fühlte sich angenehm entspannend an. Menina legte ihren Rucksack auf den Tisch, lehnte den Kopf darauf und schloss für einen Moment die Augen.
Ein Ruck an ihrer Stuhllehne riss sie aus dem Schlaf. Während sie noch verzweifelt versuchte, sich zu erinnern, wo sie war, sah Menina einen Jungen weglaufen und durch eine schmale Lücke zwischen zwei Häusern verschwinden. Es war später Nachmittag und der Platz lag im Schatten. Sie schauderte und griff nach der Handtasche, die sie über ihre Stuhllehne gehängt hatte. Zu ihrem Entsetzen war sie nicht da. Sie sprang auf, blickte sich suchend um, sah auch unter dem Tisch nach, doch ihre Handtasche war verschwunden – mitsamt ihrem Geld, dem Reisepass, dem Rückflugticket und ihrer neuen Kreditkarte. Mit sinkendem Herzen wurde ihr klar, dass der Junge, den sie hatte weglaufen sehen, sie wahrscheinlich gestohlen hatte. Aber bestimmt würde der Busfahrer sie trotzdem weiterfahren lassen, schließlich hatte er ihre Fahrkarte ja gesehen … Doch die Stelle, an der der Bus gehalten hatte, war leer. Er war ohne sie abgefahren und hatte ihren Koffer mitgenommen. »Nein«, wimmerte sie. »Nein!« Ihr Magen krampfte sich zusammen.
Und dann bekam sie Angst. Der Platz war voll von den Arbeitern, die sie vorher im Caf é hatte trinken sehen und die nun ein großes Gestell am Rande des Platzes zusammenzimmerten. Als sie eine junge Frau ganz allein da stehen sahen, kamen einige der Männer näher. »Du bist freundliches Mädchen, nein?«, fragte einer von ihnen auf Spanisch. Dabei huschte ein listiges Lächeln über sein Gesicht, das schlechte Zähne freilegte. Sein Freund stieß einen leisen Pfiff aus und hob die Augenbrauen. Die Männer tasteten ihren Körper mit Blicken ab und tauschten einen Witz in einer kehligen Sprache, die Menina nicht verstand, doch sie konnte sich nur allzu gut vorstellen, worum es ging. Einer der Männer rieb Daumen und Zeigefinger aneinander, die allgemein verständliche Geste für Geld. »Ein Gläschen trinken, ja?«, sagte ein Mann. Gelächter.
Etwas Bedrohliches lag in der Luft und lediglich aus einem Selbsterhaltungsinstinkt heraus gelang es Menina, sich zu zwingen, ruhig zu bleiben und sich nicht wie ein Opfer zu verhalten. Auf der anderen Seite des Platzes war ein Schild mit der Aufschrift » Policia « zu sehen. Dem Himmel sei Dank. Sie zwang sich, die Männer keines Blickes zu würdigen und in aller Ruhe ihren Rucksack zu schultern. Dann überquerte sie den Platz,
Weitere Kostenlose Bücher