Das Zeichen der Schwalbe (German Edition)
vorbei an den anzüglich grinsenden Männern. Sie spürte ihre Blicke in ihrem Rücken. Ohne Geld und ohne Reisepass war sie in ernsthaften Schwierigkeiten, doch die Polizei würde ihr helfen, das amerikanische Konsulat in Madrid zu benachrichtigen, damit sie einen neuen Pass bekam. Und von der Polizeiwache aus konnte sie auch ihre Eltern anrufen und sie bitten, ihr telegrafisch Geld zu schicken – auch wenn sie den nötigen Erklärungen mit einem unguten Gefühl entgegensah. Wie dumm von ihr, in eine derart missliche Lage zu geraten!
Die Tür zur Polizeiwache war unverschlossen. Menina trat ein und rief »Hola?« An der Anmeldung war niemand zu sehen, also ging sie einen Flur hinunter, bis sie den einzigen Raum fand, in dem Licht brannte. Darin saß ein Polizist allein an einem Schreibtisch, auf dem sich Aktenberge türmten. Er war in ein Schriftstück vertieft und blickte überrascht auf, als Menina an der offenen Tür klopfte. Zu ihrer Erleichterung hatte sie es nicht mit einem blutigen Anfänger zu tun, sondern mit einem Polizisten um die dreißig, mit einem Schnurrbart und dichten dunklen Haaren. Der Kragen seines Uniformhemdes war offen.
»¿Se ñ ora? ¿Qu é puedo hacer para usted?« Was kann ich für Sie tun? Er stand sofort auf und knöpfte sein Hemd zu, als sei es ihm peinlich, dass sie ihn in einem Moment der Entspannung ertappt hatte. Er war so groß wie Menina, schwer, aber fit, und strahlte eine Autorität aus, die sie in ihrer Situation eher beruhigend fand.
Sie gab sich Mühe, auf Spanisch zu schildern, was passiert war. »Bitte entschuldigen Sie, ich möchte einen Diebstahl melden. Ich bin auf dem Platz eingeschlafen und meine Tasche mit meinem Geld und meinem Pass wurde gestohlen. Mein Bus ist einfach abgefahren – mit meinem Koffer. Und … die Männer auf dem Platz waren … ziemlich unangenehm.« Ihr Atem ging stockend und ihr wurde schwindelig. »Darf ich mich setzen, bitte?«
Der Polizist musterte sie prüfend. Er stellte sich als Hauptmann Fern á ndez Gal á n vor und zu Meninas Überraschung wich seine höfliche Miene einem missbilligenden Blick. Er schob ihr einen Stuhl an seinen Schreibtisch und sagte auf Englisch: »Bitte. Sie müssen ein Formular ausfüllen, ein informe del crimen .«
Sie nahm den Rucksack ab und setze sich. Er schob das Schriftstück, das er so aufmerksam gelesen hatte, zur Seite und seufzte. Halbherzig zog er mehrere Schubladen auf, bevor er das richtige Formular gefunden hatte und vor Menina auf den Tisch legte. »Können Sie das lesen?«
Menina nickte.
»Engländerin?«
»Americana.«
»Mrs?«
»Nein, se ñ orita .«
»Bitte, ich spreche Englisch«, sagte er kurz angebunden. »Tragen Sie hier Ihren Namen ein«, wies er sie an und zeigte auf eine Zeile auf dem Formular. Als sie »Menina Walker« schrieb, runzelte er die Stirn. Wenigstens starrte er sie nicht so anzüglich an wie der Busfahrer und die Männer da draußen. Sie blickte wieder auf das Formular. Ihre Lippen bewegten sich, als sie die Fragen auf Spanisch wieder und wieder durchlas. Nach dem Erlebnis auf dem Platz war sie immer noch durcheinander und musste feststellen, dass ihr Kopf plötzlich vollkommen leer gefegt war. Der Polizist beobachtete sie einen Augenblick, dann zog er ihr das Formular ungeduldig weg. »Miis Walker, erklären Sie mir, was passiert ist, und ich trage es ein. Sonst sitzen wir noch den ganzen Abend hier.«
Er setzte sich, klickte seinen Kugelschreiber an und schrieb, während Menina ihm sagte, wie alt sie war und was sich in ihrer Handtasche befand. Ihr Reisepass – nein, sie wusste die Passnummer nicht. Ungefähr sechstausend Euro in Reiseschecks, eintausend oder so in bar, ihr Ticket für den Rückflug und eine Kreditkarte. Nein, auch die Kreditkartennummer hatte sie nicht. Sie erklärte, wie sie den Ruck an ihrer Stuhllehne gespürt hatte, als sie auf dem Platz saß, erzählte von dem Jungen, der weggelaufen war, und wie sie merkte, dass ihr Bus ohne sie abgefahren war.
Er warf ihr einen Blick zu, der ihr deutlich zu verstehen gab, für wie dumm er sie hielt, und fragte, wohin sie unterwegs sei.
»Ich wollte nach Madrid, von Malaga aus, und die Dame, die mir die Busfahrkarte verkauft hat, sagte, ich sollte diesen Bus nehmen. An der Haltestelle nach Ronda sollte ich umsteigen in den Bus nach Madrid. Der Busfahrer hatte versprochen, mir zu sagen, wann ich aussteigen muss.«
Nervös verstummte sie mitten im Satz. Sie hörte, wie die Männer draußen hämmerten und
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