Das Zeichen der Schwalbe (German Edition)
sich gegenseitig etwas zuriefen. Was sollte sie bloß machen, wenn sie hier auf der Polizeiwache alles erledigt hatte?
»Wo sind Sie geboren?«
Sie nannte ihm ihren Geburtsort und er blickte erstaunt auf. »Warum sagen Sie, dass Sie Amerikanerin sind?«
»Ich bin Amerikanerin. Ich wurde adoptiert.«
»Beruf? Nein, sagen Sie nichts. Ist es ›Modell‹ oder ›Schauspielerin‹?«, fragte er. Menina fand, dass er sarkastisch klang.
»Ich bin Studentin, am College.«
Durch seine dichten Augenbrauen wirkte seine Miene streng. »Miis Walker, in ein paar Tagen haben wir hier ein paar Touristen, die wegen der Prozession zur Semana Santa kommen, aber das sind meist keine reichen Leute. Wir sind nur ein altes Dorf in den Bergen. Um diese Jahreszeit sind hier einige britische Rentner und die katholischen Touristen, die kommen und sich unsere religiösen Feierlichkeiten ansehen wollen, aber –« er breitete die Hände aus – »hier gibt es nichts für muchachas de la llamada .«
»Die was?«
»Teure Mädchen – wie sagt man das auf Englisch? Die höfliche Bezeichnung, ich glaube, sie ist ›Callgirls‹ – im Süden von Spanien, mit den Yachten, den reichen Männern. Die teuersten gehen als Klosterschülerinnen durch. Wie Sie, zum Beispiel.«
» Wie bitte? «
Er schlug mit der Hand auf den Tisch. »Oh bitte, Miis Walker! Ich bin Polizist – mir können Sie nichts vormachen. Meinen Sie wirklich, dass man nichts merkt? Reisen den reichen Arabern hinterher, den Drogenhändlern, den Waffenschmugglern, mit ihren Parties auf den Yachten, wo schöne Mädchen immer willkommen sind. Aber hier in den Bergen sind meist arme Arbeiter aus dem Ausland, die sich zur Osterzeit Geld damit verdienen, dass sie die Festwagen für Semana Santa bauen, weil die meisten Männer aus den Dörfern anderswo arbeiten oder mittlerweile zu alt sind. Oder vielleicht haben Sie ein Problem mit Drogen und jeder Mann mit ein bisschen Geld ist gut genug. Obwohl ich sagen muss, dass Sie nicht aussehen, als hätten Sie ein Problem mit Drogen. Noch nicht.«
Menina starrte ihn mit offenem Mund an. Er hatte sie als Prostituierte bezeichnet? Und als Drogenabhängige? Sie war noch keine zwanzig Minuten in dieser Polizeiwache – was hatte sie getan, dass er das von ihr dachte? »Ich bin kein … kein … Callgirl«, stammelte sie. »Und ich nehme auch keine Drogen. Soweit ich weiß, habe ich noch nicht einmal eine Droge zu Gesicht bekommen. Ich will einfach nur nach Madrid, um dort …«
»Madrid? Ist das hier die Straße nach Madrid?«, unterbrach er sie und zeigte auf das Fenster und die Aussicht auf die Berge.
»Woher soll ich das wissen? Ich bin zum ersten Mal in Spanien!«
»Miis Walker, was immer Sie auch sein mögen: Ich wünschte, Sie wären nicht hergekommen. Denn jetzt muss sich jemand um Sie kümmern, und ich kann es nicht tun, weil ich zu beschäftigt bin.«
Ich hasse Spanien, dachte Menina bitter. Allmählich ging ihr auf, dass sie womöglich in noch viel größeren Schwierigkeiten steckte, als sie bisher vermutet hatte. Niemand wusste, wo sie war. Sie selbst wusste noch nicht einmal, wo sie war. Und wenn dieser grässliche Polizist sie für eine Prostituierte hielt, dann mussten die Männer draußen auf dem Platz zu demselben Schluss gekommen sein. Das würde ihr Gezischel und ihre Bemerkungen erklären. Mittlerweile war sie so beunruhigt, dass sie gar nicht richtig hinhörte, als der Hauptmann ihr eine Frage stellte.
»Ich sagte: Was wollen Sie in Madrid?«
»Ich muss in den Prado. Fürs College muss ich eine Arbeit über einen Künstler schreiben …«
»Wahrscheinlich über Picasso.«
»Picasso? Natürlich nicht!« Man brauchte nur »spanischer Künstler« sagen und schon dachten die Leute, dass man Picasso meinte, dabei gab es im Prado gar keine Picassos. Aber wahrscheinlich wäre es besser, das nicht zu sagen.
»Ah, Sie meinen also, Picasso ist nicht im Prado?« Der Hauptmann hob die Augenbrauen.
»Nein, die Picassos hängen im Reina Sofia Museum!«, fuhr Menina ihn an. Dieser Mann war nicht nur unhöflich, er machte sie regelrecht wütend. Vermutlich wusste er ganz genau, wo die Picassos waren. »Der Künstler, über den ich forsche, ist älter, er heißt Tristán Mendoza, Sie haben wahrscheinlich noch nie von ihm gehört, heutzutage gibt es kaum jemanden, der ihn kennt. Er war Portraitmaler – und seine einzigen Werke sind im Prado. Ich habe eine Medaille mit demselben –«
Menina fand, sie hatte genug gesagt. »Hören
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