Das Zeichen der Schwalbe (German Edition)
in Erinnerungen geschwelgt. Sie sagten, sie würden schrecklich gerne deine Medaille sehen, wahrscheinlich sei sie sehr alt, meinten sie. Und dann fragten sie, wann du zurückkommst. Ich habe ihnen gesagt, dass das eine Weile dauern kann, du würdest in Spanien über irgendeinen alten Maler forschen. Und sie …«
In der Leitung erklangen Pieptöne. Menina stellte fest, dass sie keine Münzen mehr hatte.
»… aus irgendeinem Grund dachten sie, wir hießen Smith, und sie fragten, wann wir aus Chicago hierhergezogen seien. Keine Ahnung, woher sie das hatten, aber wir haben das grade gerückt und …«
»Mein Geld ist aufgebraucht! Tschüß, ich rufe wieder an, wenn ich −«, und dann war die Leitung unterbrochen.
Menina hängte den Hörer ein und hob ihren Rucksack hoch. Er wog mindestens eine Tonne. In Atlanta hatte sie gar nicht darauf geachtet, doch nun machte sie ihn auf, um zu sehen, warum er so schwer war. Für den Fall, dass die Fluglinie ihr Reisegepäck verbummelte, hatte sie einen Pullover, ein zusätzliches T-Shirt, etwas Unterwäsche, saubere Socken und Tampons eingepackt. Auch der Samtbeutel mit dem Buch, das die Nonnen ihr gegeben hatten, war im Rucksack. Das wollte sie wirklich nicht verlieren, wenn ihr Koffer abhanden kommen sollte. Außerdem hatte sie das kleine Lateinwörterbuch aus ihrer Zeit an der Highschool dabei, falls sie den Leuten im Prado sagen musste, worum es in dem lateinischen Teil des Buches ging – für ein Gebetbuch schien es ihr zu kurz zu sein. Den spanischen Teil konnten sie selbst entschlüsseln.
Sie grub tiefer und fand eine Shampootube und andere Toilettenartikel im Miniaturformat, Aspirintabletten, ein paar kleine Handtücher, die sich im nassen Zustand ausdehnten und die Menina früher im Sommercamp benutzt hatte, und einen neuen Reisebademantel. Ihre Mutter hatte diese Dinge in den Rucksack gestopft. Dann rief sie plötzlich: »Oh nein!« Ganz unten hatte ihre Mutter den schweren alten Reiseführer über Spanien versteckt, den Menina eigentlich überhaupt nicht mitnehmen wollte. In die Seitentasche hatte Sarah-Lynn einige Notizblöcke, Kugelschreiber und ein paar von den Schokoriegeln gesteckt, die Menina so gern aß. Auf der anderen Seite waren zwei Flaschen Wasser, die sie auf dem Flughafen in Atlanta gekauft hatte.
Die Frau, bei der sie die Busfahrkarte nach Madrid kaufte, meinte: »Ist Semana Santa .« Alles gehe drunter und drüber, einen direkten Bus gebe es nicht. Menina müsse Richtung Ronda fahren und dann umsteigen. Sie gab ihr einen Busfahrplan und tippte mit dem Stift auf die Haltestelle, an der der Bus nach Madrid abfahren würde. Sie dürfe ihn nicht verpassen, schärfte sie ihr ein, es gebe nur diesen einzigen Bus nach Madrid am Tag.
Der Busfahrer, ein dunkelhäutiger Mann mit einem riesigen Bauch, der sich über dem Hosenbund wölbte, stand an der offenen Gepäckluke und kaute auf einem Zahnstocher. Menina zeigte ihm ihre Fahrkarte und den Namen des Ortes, an dem sie in den Bus nach Madrid umsteigen sollte. »Si! Le dire.« Ich sage Ihnen Bescheid. Der Fahrer lächelte, in seinem Mund blitzte ein Goldzahn auf. Er warf Meninas Koffer in die Luke und streckte die Hand nach ihrem Rucksack aus, doch sie schüttelte den Kopf. Den würde sie in den Bus mitnehmen und während der Fahrt in dem alten Reiseführer lesen.
Menina suchte sich zwei freie Plätze, nahm zwei Aspirintabletten und holte den Reiseführer hervor. Eine Viertelstunde später fuhr der Bus los, ließ das Flughafengelände bald hinter sich und fuhr in westlicher Richtung auf einer Küstenstraße entlang. Am Straßenrand wechselten Baustellen und Siedlungen mit neuen Ferienhäusern einander ab. Auf dem Meer war ein Öltanker am Horizont zu sehen, Sonnenlicht tanzte auf den Wellen und eine strahlend weiße Luxusyacht nährte sich der Küste, während sie die gewundene Straße entlangfuhren.
Dann bog der Bus ins Landesinnere ab und die Ferienhäuser wichen frisch bepflanzten Feldern, gelegentlich waren alte Bauernhäuser mit hölzernen Schuppen zu sehen, die an der Rückseite angebaut waren. Die Sonne schimmerte auf den silbrigen Blättern der Olivenbäume, die auf terrassenförmig angelegten und von Steinwällen durchzogenen Feldern wuchsen. Mit Feuerholz beladene Pferdekarren schwankten schwerfällig einher, Frauen in schwarzen Strümpfen und Strickjacken und ausgeblichenen Kopftüchern trugen Brotlaibe, ein altes Paar führte einen Esel mit Korbflaschen voller Wein auf dem Rücken über ein
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